Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

DOI Heft:
Heft 4
DOI Artikel:
Hauttmann, Max: Ein Beitrag zur Kunstpädagogik
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0508

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
502

BEMERKUNGEN.

wischt sind, alles ineinander überfließt. Das Abwerfen der Gebundenheit in Haltung,
Gebärde und Ausdruck, — selbst bei diesem auf hieratische Gebundenheit gestellten
Vorwurf — die Gelöstheit der Bewegungen, das Aufgeben der strengen Frontalität
und der absoluten Symmetrie wird wieder durch die eingezeichneten Achslinien
greifbar gemacht, von denen die Höhenachse gebrochen, die Querachsen in ver-
schiedenen Winkeln unter sich divergierend erscheinen. Es war ein Eindruck, als
nach Erhellung des Saals die beiden Gerippe in stattlicher Größe nebeneinander
auf der Tafel standen, und wer das Zeichnen verfolgt oder wie die meisten Hörer
mitgezeichnet hat, der wird immer mit diesen Beispielen als Grundanschauungen
eines klassisch gebundenen und eines barock aufgelösten Stils arbeiten.

Größere Anforderungen an die Vorstellungskraft stellten Übungen.'die die Wand-
lung des Volumens deutlich machen sollten, da das zweidimensionale Bild hierfür

Abb. 1.

a. Moosburg,
Ende 12.Jahrh.

b. Regensburg,
Mitte 13. Jahrh.

Zeichnung von Jos. Blatner.

ja nur Anweisungen geben kann. Der Kruzifixus von Innichen (Abb. 2 a) wurde
durchgezeichnet auf die plastische Geschlossenheit in der Behandlung jedes Teiles
und der Zusammensetzung der Teile hin, in deren Dienst hier Frontalität, symmetri-
sches Arrangement, klare Begrenzungslinien, Achsengeradheit stehen, — ein Quer-
schnitt durch den Rumpf, eine Seitenansicht (hier nicht wiedergegeben, da nur nach
allgemeinen Anhaltspunkten interpoliert) machten die Blockigkeit der Erscheinung, die
Vorstellung, daß die Oberfläche des Körpers von aneinandergestoßenen ebenen
Flächen gebildet wird, daß die Figur zwischen parallele Ebenen (»Bretter«) ein-
gespannt werden könnte, klar. Am Gegenbeispiel, dem Kruzifixus in Wessobrunn
(Abb. 2 b), sollte die ausstrahlende Bewegtheit dieses malerischen Stils, das Ausströmen
der plastischen Form in den Raum, das Einschlürfen von Raum in das plastische
Gebilde durch die Brechungen und Divergenzen der eingezeichneten Achsen gefaßt
werden, deren Lage im Raum wieder durch versuchsweises Projizieren der Figur
auf die Grundebene und die seitlichen Ebenen näher bestimmt wurde, — die Projek-


 
Annotationen