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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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Heft 4
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Schmarsow, August: Zur Lehre vom Ornament
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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0518

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512 BEMERKUNGEN.

Gebilde für sich, im Vergleich zu Basis und Kapitell frei, selbst wo er am Nagel
hängt und gleichwie der Becher auch nicht immer aufrecht bleibt. Es wäre die
Frage: wozu noch Darstellung der »in ihm tätigen Kräfte« durch ein Ornament,
wenn schon seine eigne Form die Bestimmung des Gebrauchsgegenstandes verständ-
lich genug ausspricht? Und wer nun wie wir eine grundlegende Belehrung sucht,
der fragt wohl weiter: was heißt denn »symbolische Darstellung«? Nun, das grie-
chische Wort kommt von »symballein«, d. h. zusammenwerfen, -schieben, -setzen,
-legen usw., oder aneinanderstoßen, -fügen, -schließen; bezog sich z. B. ursprüng-
lich auf die beiden Hälften einer Scherbe, einer Münze, die als Erkennungszeichen
an zwei Personen vergeben wurden, um sich als Gastfreunde auszuweisen und den
Anspruch auf das Gastrecht im Hause zu begründen. Erst durch die Zusammen-
fügung beider kommt das Ganze zustande, wenn auch der eine hier vorhandene Teil
schon als Wahrzeichen jenes vollgültigen Ganzen hingenommen wird (pars pro
toto), als eine Anweisung auf den eigentlichen Sinn der Sache, und dieser ist eine
Anwartschaft auf den höheren Wert, der über das Dargebotene selbst hinausgeht,
also eine übertragene Bedeutung des sinnlichen Zeichens. Das Verfahren beruht
somit, wie die wörtliche Übersetzung ins lateinische »Kontakt« schon nahelegt, auf
einer »Kontakt-Assoziation« — von Vorstellungen also mit dem Scherben und seinem
Muster oder der Münze und ihrem Gepräge. Semper meint aber, wenn er den
Schmuckformen der Bauglieder eines Tempels »symbolische Darstellung von Kräften«
aufgibt, das Wort immer schon als solche vertretende Verwertung, wie z. B. das
Akanthusblatt, die Volute am Kapitell, in vegetabilischer Form den Einfluß des
Druckes vom Architrav versinnlicht. Diese Zutaten zur Werkform nennen wir jedoch
besser schon Dekor oder Schmuckformen, nicht Ornamente. Sowie wir aber von
»symbolischer Ornamentik« reden, so stellt sich wohl die Erwägung ein, daß dies
ein unterscheidendes Beiwort ist, das also nicht für alle und jede Ornamentik gilt,
und daß demgemäß Symbolik nicht die Aufgabe des Ornaments überhaupt sein
kann. Wir erwarten symbolische Ornamente vielleicht an Geräten des Tempels,
aber nicht der Küche, während diese wohl Hausmarken tragen können, aber kaum
Eigentumszeichen eines Gottes. Solche Symbole vermitteln einen geistigen Inhalt,
der für sich besteht und den Träger wechseln mag, ohne von der eignen Bedeu-
tung einzubüßen (wie das Hakenkreuz oder das Flügelrad). Genug, sparen wir das
griechische Wort lieber für die Werke der alten Griechen auf und versuchen hier
für die Germanenländer mit dem deutschen auszukommen, das auch in Holland und
Skandinavien verstanden wird und uns vielleicht unmittelbarer helfen kann. Es heißt
»Sinnbild« und meint ein Bild, das außer dem sinnlichen Gebilde oder auch Abbild
— denn diese beiden Ableitungen liegen hier als möglich vor — noch einen darüber
hinausgehenden Sinn hat, also einen dahinterliegenden Vorstellungsinhalt vermittelt.
Diese geistige Bedeutung wird in uns wiederum durch Kontaktassoziation, wie wir
psychologisch sagen, hervorgerufen oder dem Betrachter, dem Empfänger »in, mit
und unter dem Sinnbild« übermittelt. Ist nun jedes Ornament nicht nur ein Zierat,
ein Schmuck, sondern notwendig auch ein Sinnbild? Das wird auch F. Adama
van Scheltema nicht behaupten wollen. Also gehen wir zu der folgenden Formu-
lierung weiter. »Ornament ist, anders gesagt, eine Betonung der Formen des orna-
mentierten Gegenstandes«; das ließe sich hören, wenn man nur wüßte, warum sie
noch geschehen mag. Doch es geht sofort weiter: »es ist die an sich völlig über-
flüssige und damit rein ästhetische Darstellung von natürlich gegebenen Kräften,
oder — wenn man diese dynamische Bedeutung ausschalten will — die nur dem
Scheine dienende Betonung der durch die Natur (= Technik, Zweck) gegebenen
Formen.« Halten wir uns zunächst an diese letzte Formel, so wäre Ornament eine
 
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