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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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Besprechungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0534

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528 BESPRECHUNGEN.

jene Eigenschaften abgehen. In dem eben gekennzeichneten Sinne erscheint das
neue Werk von Erich Becher mustergültig.

Dieser allgemeinen Charakteristik will ich eine ganz kurze Andeutung des
Inhaltes folgen lassen. Dabei werde ich keineswegs der Fülle von Einzelfragen
— die aber eine gewichtige Rolle spielen — gerecht; auch tritt hier als nacktes
Ergebnis auf, was in Wahrheit Endglied sorgfältiger Untersuchung ist. So darf die
Skizze nur als nachdrücklicher Hinweis auf das Werk selbst gelten. Becher lehnt
»künstliche« Einteilungen ab, die sich auf irgend ein Merkmal oder auf einige wenige
von vielleicht nur untergeordneter Bedeutung stützen, die lediglich einen oder einige
wenige Gesichtspunkte herausgreifen. Natürlich oder adäquat ist eine Einteilung,
die das Ganze der Organisation, alle wesentlichen Merkmale und Gesichtspunkte
berücksichtigt. Durch sie gelangt eine tiefe Einsicht in die innere Struktur der
Wissenschaften zum Ausdruck. Die historisch gewachsene Verästelung richtet sich
in der Hauptsache doch nach dem Ganzen der Wissenschaften und nicht nach ein-
zelnen sekundären Merkmalen oder Gesichtspunkten. Darum nähert sie sich auch
der adäquaten Gliederung. »Wenn daher Einteilungsvorschläge, wie sie z. B. von
Windelband und Rickert gemacht wurden, jener ungezwungenen, wildgewachseneii
Verzweigung stark widerstreiten, so muß uns dies bedenklich machen.« Das Wesen
der Wissenschaft ist am besten von ihrem Ziele aus zu erfassen, auf das ihre ganze
Struktur sich richtet. Und dieses Ziel ruht im »Wissen, d. h. in der sicheren, wahren
Erkenntnis, die uns in Urteilen entgegentritt«. Aber diese Urteile — und mit ihnen
Fragen, Annahmen usw. — würden ohne weiteres auseinanderfallen, wenn sie sich
nicht auf sachlich zusammengehörige Gegenstände bezögen. Die Gegenstände
bringen die Fragen mit sich, und von den Gegenständen hängen die Antworten
auf diese Fragen ab, die wahrscheinlichen und gewissen Urteile; »die Gegenstände
bestimmen die Subjekte der Fragen und der antwortenden Urteile, sowie deren
mögliche Prädikate. Darum gehört im Erkennen, im Wissen, in der Wissenschaft
nicht zusammen, was sich auf nicht zusammengehörige Gegenstände bezieht. Daruni
hat jede Wissenschaft ihren Gegenstand oder ihre Gruppe von sachlich zusammen-
gehörigen Gegenständen, die Fragen, Annahmen und Urteile sachlich zusammen-
hält.« Ließe man jedoch eine Fülle von Fragen und Urteilen über einen Gegen-
stand aufeinander folgen, ergäbe das noch immer keine Wissenschaft. »Dazu gehört
sorgfältige, womöglich einheitlich planvolle Ordnung, gehört ,System', wie die
Wissenschaftstheoretiker immer wieder betont haben.« So gelangt Becher zu der
Definition: eine Wissenschaft ist ein gegenständlich geordneter Zusammenhang von
Fragen, wahrscheinlichen und wahren Urteilen nebst zugehörigen und verbindenden
Untersuchungen und Begründungen, die sich auf denselben Gegenstand beziehungs-
weise auf dieselbe Gruppe von sachlich zusammengehörigen Gegenständen beziehen.
Wäre die Einteilung nach Gegenständen prinzipiell unnatürlich, hätte sie sich gewiß
nicht in weitestem Umfang bei dem organischen Wachstum des Wissensreiches
durchgesetzt. Trotzdem begegnen wir verschiedenen Disziplinen, die den gleichen
Gegenstand behandeln. Anatomie und Physiologie des Menschen haben beide den
menschlichen Körper zum Gegenstande; Physik und Chemie haben es mit denselben
Körpern zu tun; Erkenntnistheorie und Erkenntnispsychologie beide mit dem Er-
kennen. Als Gegenstand bezeichnet die Erkenntnislehre alles, womit sich unser
Erkennen beschäftigt; demnach nicht bloß wirklich Existierendes, sondern auch ledig-
lich gedachte Gebilde, z. B. imaginäre Zahlen. Nehmen wir diesen erkenntnistheo-
retisch-logisch wohl begründeten Gegenstandsbegriff auf, hat die Anatomie den
Bau, die Physiologie die Funktionen des Organismus zum Gegenstande. »Die ver-
schiedenen ,Seiten' (Eigenschaften und dergleichen), die für verschiedene ,Gesichts-
 
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