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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0535

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BESPRECHUNGEN. 529

punkte' sichtbar werden, bedeuten für die Erkenntnis- oder Wissenschaftslehre ver-
schiedene Objekte.« Die schärfste Scheidung trennt Ideal- und Realwissenschaften;
aber trotzdem bleiben mancherlei Schwierigkeiten, da Idealobjekte und Idealurteile
aus den Realwissenschaften nicht ausgemerzt werden können. Im Reiche des Realen
selbst ist der auffälligste Unterschied der zwischen physischen und psychischen
'Objekten, z. B. zwischen Steinen und Gedanken. »Natur und seelisch-geistige Welt
sind durch eine tiefe, unüberschreitbare Kluft getrennt, während Natur und Kultur,
durch stetige Entwicklung ohne Grenze ineinander übergehend, nach Rickerts Lehre
Jiur durch verschiedene Betrachtungsweise identischer Dinge hinreichend gesondert
werden können.«

Es gibt einige Fälle (z. B. synthetische und analytische Geometrie), in denen
Wissenschaften von gleichen Gegenständen durch Verschiedenheit der Methoden
gesondert werden. Wichtiger ist aber, daß Wissenschaftsteilungen, die sich zugleich
auf klare, einschneidende Unterschiede von Gegenständen und ebensolche Unter-
schiede von Methoden gründen, höchstwahrscheinlich adäquat sein werden. Die
gegenständliche Unterscheidung von Ideal- und Realwissenschaften fällt zusammen
mit der nach Methoden sich richtenden Zerlegung des Wissenschaftsreiches in
apriorisch-deduktive und empirisch-induktive Disziplinen. Ferner entspricht der
gegenständlichen Einteilung der Realwissenschaften in Natur- und Geisteswissen-
schaften die Sonderung der Methoden in solche der Sinneswahrnehmuiig und der
Selbst- (nebst Fremd-)Wahrnehmung. Ein drittes Einteilungsprinzip stellen die Er-
kenntnisgrundlagen. Die apriorischen Wissenschaften verdienen ihren Namen inso-
fern, als ihre Fundamente rein apriorisch sind. Die Erfahrungswissenschaften aber
weisen neben empirischen Fundamenten mannigfaltigere Grundlagen auf, als die
apriorischen Disziplinen. Becher gelangt zu dem Ergebnis, daß wir — ob wir nun
von den Gegenständen, Methoden oder Erkenntnisgrundlagen ausgehen — immer
wieder auf die Gegenüberstellung von Real- und Idealvvissenschaften, sowie von
Natur- und Geisteswissenschaften geführt werden.

Mit allem Nachdruck verwahrt sich der Verfasser gegen den Versuch, die Psycho-
logie von den Kulturwissenschaften historisch-philologischer Art zu trennen und sie
den Naturwissenschaften zuzuordnen. Alle Geisteswissenschaften, Kulturwissen-
schaften wie Psychologie setzen die Selbstwahrnehmung voraus; die Psychologie
bedarf der Einfühlung und Eindenkung, des Nacherlebens eigener und fremder
seelischer Erlebnisse genau so wie die historisch-philologischen Kulturwissenschaften.
Mag ferner der Dualismus des Physischen und Psychischen durch abschließende
metaphysische Betrachtung in einen Monismus umgedeutet werden, indem man
etwa die Körper als Komplexe psychischer Kräfte auffaßt; durch solche Ausdeutung
wird der Dualismus aus den Real- oder Erfahrungswissenschaften nie beseitigt
werden, weil er in ihren Erkenntnisfundamenten begründet ist. »Sind etwa durch
irgend einen Monismus die Kupfersalze, wie sie der Chemiker behandelt, oder die
Kometen, wie der Astronom sie sieht, den Wünschen, wie der Psychologe sie be-
obachtet, den Willensregungen, in die der Historiker sich einfühlt, so ähnlich ge-
worden, daß dadurch die Unterscheidung zwischen jenen und diesen Wissenschaften
m Frage gestellt würde? Der ganze Charakter einer Wissenschaft hängt davon ab,
wie ihr selbst ihre Gegenstände sich darbieten, nicht aber davon, wie diese von
irgend einer Metaphysik oder Erkenntnistheorie gedeutet werden; der ganze Cha-
rakter der Wissenschaft aber ist maßgebend für die adäquate Einteilung.« Die
Kulturwissenschaften bilden den Teil der Geisteswissenschaften, der die im spezifisch-
menschlichen und gesellschaftlichen Seelenleben sich entfaltende Kultur bearbeitet
Die Psychologie kann nicht zu den Kulturwissenschaften gerechnet werden, da sie
Zeitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. XVI. 34
 
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