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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0536

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530 BESPRECHUNGEN.

zwar die seelischen Wurzeln der Kultur erforscht, jedoch diese selbst mit ihren
reichen Verzweigungen keinesfalls zum eigentlichen Gegenstande hat. Der Begriff
der Kultur spielt in zentralen, weiten und stark bearbeiteten Gebieten der Psycho-
logie keine Rolle.

Rickert behauptet, daß dieselbe Wirklichkeit Natur wird, wenn wir sie mit Rück-
sicht auf das Allgemeine betrachten, und Geschichte, wenn wir sie mit Rücksicht
auf das Besondere und Individuelle betrachten. Becher hingegen führt den Nach-
weis, daß in der Geschichtswissenschaft, wie sie wirklich besteht und blüht, Indi-
vidualisieren und Generalisieren Hand in Hand gehen, daß die Historiker Singuläres
und Allgemeines in enger Verbindung erforschen. Er erblickt darin lediglich die
Folge des Umstandes, daß hervorragende Einzelerscheinungen und generelle oder
Massenphänomene in der Menschheitsentwicklung tatsächlich aufs engste verflochten
sind. Geschichte als Wirklichkeitswissenschaft muß diese Verflechtung, wie sie in
der wirklichen objektiven Geschichte besteht, wiedergeben oder »abbilden«; sie muß
Allgemeines und Individuelles in ihrer Verbindung erforschen, um uns lehren zu
können, »wie es wirklich gewesen ist«. Geisteswissenschaften, Psychologie und.
Kulturwissenschaften zielen in sehr erheblichem Umfange auf allgemeine Begriffe
und Erkenntnisse. »Nicht nur die Psychologie, sondern auch manche kulturwissen-
schaftliche Disziplinen, wie die Soziologie, die Sprachwissenschaft, die Poetik, die
Musiktheorie, die Moralwissenschaft, tragen ausgesprochen generalisierenden Cha-
rakter. Wenn man hinzunimmt, daß anderseits in den Naturwissenschaften das
Individualisieren eine nicht unbeträchtliche Rolle spielt, ja daß es stark individuali-
sierende naturwissenschaftliche Disziplinen gibt, dann erscheint es ganz unangemessen,
das generalisierende Verfahren als das naturwissenschaftliche zu bezeichnen. Und
ebenso inadäquat erscheint dann der Vorschlag, die Psychologie wegen ihres Gene-
ralisierens von der Seite der übrigen Geisteswissenschaften, der Kulturwissenschaften,
fortzunehmen und sie den Naturwissenschaften zuzuordnen, zu denen sie weder
nach ihrem Gegenstande, noch nach den grundlegenden Hauptmethoden paßt.«
Auch historische Gesetze sind prinzipiell möglich; allerdings spielen sie nur eine be-
scheidene Rolle. Die meisten sind richtiger als Regeln zu bezeichnen. Fassen wir
die Aufstellung von Gesetzen und Regeln als nicht-idiographische Tätigkeit (Windel-
band) zusammen, so ist ihre Bedeutung in den Geschichtswissenschaften keineswegs
unbeträchtlich. Es kann keine Rede davon sein, daß nur die individualisierende
Behandlung den Kulturobjekten in Rücksicht auf Kulturwerte gerecht wird. Gewiß,
es genügt nicht die generalisierende Methode; es ist häufig das individualisierende
Verfahren erforderlich, weil eben für die Kulturbedeutung vieler Objekte (Persön-
lichkeiten, politische Ereignisse, Kunstwerke usw.) individuelle Züge von großer
Wichtigkeit sind.

Als Auswahlprinzip entscheidet allein die Größe; den Maßstab der Darstellung"
kann der Historiker innerhalb weiter Grenzen frei wählen. Nicht alles, was irgend
eine Beziehung zu Kulturzwecken aufweist, ist historisch wesentlich, wohl aber das-
jenige, was eine hinreichend große Kulturwertbedeutung besitzt. Nicht alles, was
in der (menschlichen) Welt Wirkungen ausübt, ist vom Historiker als wichtig aus-
zuwählen, wohl aber dasjenige, was hinreichend große Wirkungen ausübt; dabei
braucht der Geschichtsforscher nicht danach zu fragen und fragt oft tatsächlich nicht
danach, wie es mit der Beziehung zu Kulturwerten steht. Man braucht nicht erst
über Kulturwertbeziehungen (die freilich leicht zu finden sind) nachzudenken, um
die Überzeugung zu gewinnen, daß der Siebenjährige Krieg historisch wesentlich
ist. Dies steht für uns sofort fest, weil es sich hier um ein an sich und in seinen
Wirkungen recht großes Ereignis in der menschlichen Welt handelt. Aus dem Aus-
 
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