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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0119
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106

BESPRECHUNGEN.

Flemming, Willi, Epik und Dramatik. Versuch einer Wesensdeutung. Karls-
ruhe, Braun, 1925. 98 S. Wissen und Wirken. Bd. 27.

Wenn man bedenkt, wieviel Dichtung und Unterhaltungsschrifttum zu jeder
Zeit seine Leser findet, so muß man sich doch wundern, wie wenig diese Leser
das Bedürfnis haben, sich über die Bedingungen des Entstehens und des Wirkens
des von ihnen Gelesenen und über sein Wesen, sei es als Dichtung überhaupt, sei
es als dramatische, epische, lyrische Dichtung, irgendwie theoretisch klar zu werden.
Diese Tatsache ist um so mehr zu bedauern, als eine gewisse Bekanntschaft mit
diesen Fragen durchaus nicht etwa den Genuß an der Dichtung beeinträchtigt und
aufhebt, vielmehr ihn ganz zweifellos steigert und vertieft, ihn vor allem vor dem
Haftenbleiben an nebensächlichen, oberflächlichen Momenten bewahrt und auf das
Wesentliche lenkt. Mehr vielleicht als z. B. die umfangreicheren und schwerer lesbaren
verwandten Schriften von Theodor A. Meyer1), Rudolf Lehmann2), Käte Friedemann3),
Margarete Hamburger4), Ernst Hirt5), Robert Hartl6) wird die vorliegende von Flem-
ming geeignet sein, diesem Übelstand abzuhelfen. Sie ist knapp auf das Wesentliche
gerichtet, bei aller Kenntnis doch ohne belastende Nennung einschlägigen Schrifttums
leicht und gefällig, ja unterhaltend geschrieben und vermag so gewiß auch in solchen
Kreisen Anteil für ihre Fragestellung zu finden, die sonst vor theoretischen Erörte-
rungen zurückscheuen mögen. Hoffentlich gelangt sie in die Hände dieser Leserkreise.

Sehr verdienstlich ist es, daß Flemming zu Beginn seiner eigentlichen Aufgabe:
der Abgrenzung epischer von dramatischer Dichtungsform, überhaupt erst einmal
die Sprache als Kunstform und Kunstkörper würdigt, die Sprache des Kunstwerks
klar verständlich abhebt von der Sprache des Alltags. Denn im Ubersehen der Tat-
sache, daß Dichtung »Kunst kraft der Sprache« (8) ist, daß »das Dichtwerk . . . also
unmittelbar geboren [wird] als Sprachleib« (10), daß in der vollendeten Dichtung
»ein neues und doch wahrhaftiges Sein geschaffen wurde, das im Nachsprechen
(oder -lesen) mein Inneres mitschwingen macht, mich denselben Weg . . . führt,
den der Dichter getragen wurde während der Sprachwerdung« (11) — im Verkennen
dieser Tatsache liegt der Hauptgrund für das mangelnde angemessene Verständnis
das die große Mehrzahl der Dichtunglesenden derselben als Kunstwerk entgegen-
bringt. Flemming wird nicht müde, zunächst einmal in diesem Punkte Einsicht des
Lesers zu erstreben, ihn verstehen zu lehren, wie die Alltagssprache im »Klarmachen
von Sachverhalten« (17), in der Benutzung geprägter Wendungen als Werkzeug für
die sachliche Verständigung ihren letzten Sinn hat, wie dagegen Sprache als Kunst-
leib sich von solcher bloßen Sachmeinung löst, »Lautsymbol« und »Gefühlsannex«
der Sprache weckt und nützt, so daß dann »in der Dichtung .. . die Einheit von
Sinn und Wort aktuell, ... die Einkleidung zum Leib« wird (12). Gesellschaftliche

■) Das Stilgesetz der Poesie. Leipzig, Hirzel, 1901.

■) Deutsche Poetik. München, Beck, 1908; 2. Aufl. 1917. Handbuch d. deutschen
Unterrichts Bd. 3, T. 2.

3) Die Rolle des Erzählers in der Epik. Leipzig, Haessel, 1910. Untersuchungen
zur neueren Sprach- und Literaturgeschichte. N. F. 7.

*) Vom Organismus der Sprache und von der Sprache des Dichters. Leipzig,
Meiner, 1920.

5) Das Formgesetz der epischen, dramatischen und lyrischen Dichtung. Leipzig
u. Berlin, Teubner, 1923.

6) Versuch einer psychologischen Grundlegung der Dichtungsgattungen. Wien,
Österr. Bundesverl. f. Unterricht, Wissensch, u. Kunst, 1924. Deutsche Kultur. Lite-
rarhistorische Reihe. Bd. 2.
 
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