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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0133
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BESPRECHUNGEN.

einer Projektion abgeleitet worden. Daß sie trotzdem in der Regel nicht ein mathe-
matisches Durchdringungsbild darstellen, ist ebenfalls zuzugeben. Diente doch der
Schleier oder die Glastafel nur dazu, den noch unfertigen Lehrling zu solcher Auf-
fassung zu erziehen. Die Naturaufnahme des reifen Künstlers und vollends sein
Vorstellungsbild aber waren, wie Britsch an einem der Sibyllenköpfe Michelangelos
und anderen mehr zeigt, keineswegs streng durchgeführte Projektionen, bestehen
vielmehr aus verschieden gesehenen Teilansichten und gewinnen dadurch eine außer-
ordentliche Anregungskraft für die Vorstellung. Man kann von ihnen mit gutem
Recht sagen, daß sie aus einer »einheitlichen Vorstellungsbildung hervorgegangen
sind, obgleich in ihnen gerade mehrere Sehakte (manchmal sogar von verschiedenen
Standpunkten) zusammengeflossen sind. Dieser Abschnitt ist überhaupt wohl der
fruchtbarste an feinsinniger künstlerischer Belehrung. Nur versteht man nicht recht,
warum Britsch bei solcher Schätzung der Zeichnungen Lionardos oder Michelangelos
das unmittelbare Naturstudiuni der Renaissance geradezu als Unkunst bemängelt,
da diese Meister ganz wie ihre Vorgänger doch erst aus solcher Auseinander-
setzung mit dem Naturvorbild ihre Vorstellungsweise geschöpft haben und nicht
wie die Griechen aus freier Naturbeobachtung des menschlichen Körpers, die diesen
in viel reicherem Maße geboten war. Ebensowenig berechtigt ist es, wenn Britsch
die Erfindung der Zentralperspektive aus der Entwicklung der künstlerischen Raum-
vorstellungen ausschließen will. Sie hat diese zum mindesten zu vollkommener Ver-
einheitlichung geführt und ist außer von den Theoretikern (Dürer eingeschlossen)
doch niemals streng mathematisch durchkonstruiert worden. Ohne die theoretische
Erfassung ihrer Hauptgesetze aber wäre in der abendländischen Kunst auch die
freie malerische Raumgestaltung schwerlich zu einem so hohen Grade überzeugen-
der Raumwirkung gediehen. Ist ihr doch erst dadurch der optische Fluchtmaßstab in
seiner Folgerichtigkeit vertraut geworden, an dem sie auch bei Verzicht auf jede
architektonische Raumkonstruktion jederzeit festgehalten hat.

Die Entwicklung der Farbengebung in der Kunst will Britsch wieder als einen
inneren Fortschritt des künstlerischen Denkens ohne Beziehung auf die Gegenstands-
oder Beleuchtungsfarbe der objektiven Wirklichkeit begreifen. Einen Unterschied
zwischen dem reinen Gefühls- und dem Darstellungswerte der Farbe macht er
daher überhaupt nicht. Die Farbbeurteilung beginnt nach ihm mit der Unterschei-
dung der A-gemeinten Farbe von der nicht gemeinten als U, und zwar wie bei der
Richtungsveränderlichkeit mit den größten Gegensätzen, d. h. hier mit den reinen
Farben, und schreitet durch fortgesetzte Differenzierung des A und U bis zur Er-
kenntnis des Farbzusammenhangs innerhalb des einheitlichen Farbflecks und dann
mittels seines grenzlosen Überganges in die Umgebung auch mit dieser fort. Daß
die Auffassung desselben als Einheit im letzten Grunde doch auf seiner gegenständ-
lichen Bedeutung beruht, scheint Britsch nicht bewußt geworden zu sein. Jedenfalls
sieht er davon ab. Wenn aber die Verwirklichung der A-Farbe, wie der Heraus-
geber gewiß sinngetreu ausführt, davon abhängt, daß sie von einer gleichgültigen
U-Farbe umschlossen sein muß, was nur durch eine harmonische Gegen- (beziehungs-
weise Neben-)farbe zu ermöglichen sei, so wird damit stillschweigend das Harmo-
niegesetz der großen und der kleinen Intervalle anerkannt, von dem nirgends die
Rede ist. Wollte man dagegen einwenden, daß die Herstellung des harmonischen
Verhältnisses einzig und allein durch das künstlerische Gefühl von Fall zu Fall be-
stimmt wird, so hieße das überhaupt auf die nähere Erkenntnis einer hier bestehen-
den Gesetzlichkeit verzichten. Dann verliert aber auch die leere Formel A : U jeden
Wert der Anwendbarkeit auf den Einzelfall. Zum Glück hat Britsch in tiefblicken-
der Betrachtung über die Entfaltung der malerischen Technik des 16.—18. Jahrhun-
 
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