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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0226
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BESPRECHUNGEN.

213

zu müssen. Auch diesmal kann ich nicht anders verfahren, da die Beziehungen der
von sich sprechenden Philosophen zur Ästhetik nur ganz gering sind. Weder Rensi
noch Varisco, weder Liljequist noch Reinke haben sich philosophisch mit der Kunst
befaßt; selbst in der imponierenden Darstellung Sterns von seinem System wird
dem Ästhetischen und der Kunst nur ein beiläufiger Hinweis gegönnt. Anders ver-
hält es sich mit Eugen Kühnemann. Denn bei ihm bildet die klassische, die huma-
nistische Ästhetik geradezu den Mittelpunkt des Wirkens. Aber es ist eben eine
Ästhetik, die mit dem heutigen Leben nicht verknüpft, vielmehr aus Idealen der
Vergangenheit abgeleitet ist. Trotzdem wird niemand einer solchen in sich ge-
schlossenen Weltanschauung und ihrer menschlich ergreifenden Darstellung die
Hochachtung weigern.

Berlin. Max Dessoir.

Josef Strzygowski, Die Krisis der Geisteswissenschaften. Wien 1923,
Kunstverlag Anton Schroll u. Co. XII, 350 S.

Die allgemeine Krisis, in welcher sich heute unsere Wissenschaften befinden,
macht sich auch in der Kunstwissenschaft geltend. Es ist nicht zu verkennen, daß
die Kunstgeschichte in ihrer heutigen Gestalt den Ansprüchen, welche wir an eine
exakte Wissenschaft stellen, nicht gerecht wird. In der Tat ist ein modernes, kunst-
historisches Buch ein Konglomerat von geschichtlicher Erzählung und Feuilleton:
das einzig Exakte daran sind die historischen Daten — das eigentlich Künstlerische
dagegen bleibt ganz und gar dem persönlichen Geschmack, den mehr oder minder
geistreichen Einfällen des Autors überlassen.

Die Problematik der modernen Kunstforschung beruht so auf zwei Ursachen.
Erstens auf dem Subjektivismus des Einfalls, wobei eben Sache und Beschauer
— tatsächlicher, objektiver Kunstwert und subjektive Meinung und Einstellung —
unkontrollierbar ineinanderlaufen. Zweitens auf dem Umstand, daß das eigentlich
exakte Rüstzeug der Kunstwissenschaft nur die historischen Daten sind; damit
kann diese Kunstwissenschaft nur von den Quellen ausgehen; da aber die reich-
sten, am leichtesten erforschbaren und bestbekannten Quellen im klassisch-abend-
ländischen Kulturkreise gegeben sind, so kommt es dazu, daß für uns, die wir
durch die Brille des Humanismus sehen, die klassische Kunst als die einzige Zentrale
der Kunstentwicklung des gesamten Erdkreises erscheint. Zugleich sind wir geneigt,
die Stilfolge, welche im abendländischen Kulturkreise beobachtet wird, als einen
notwendigen, allgemeingültigen Ablauf zu betrachten, der in analogen Stadien auch
in allen anderen Kunst- und Kulturentwicklungen gegeben ist. Wir verfallen in den
schweren logischen Fehler einer Induktion per cmuncralioncm simplicem, indem wir
glauben, analoge Stilstadien wie die antik-abendländischen in jedem Kunstkreise
wiederfinden zu müssen. Keine der beiden, heute angewendeten Methoden gibt uns
also über das eigentlich Künstlerische wissenschaftlichen Aufschluß: weder die
»französische Methode«, die Forschung nach Quellen, bei welcher es ein Hilfsmittel
zur Erfassung des eigentlichen Kunst wertes überhaupt nicht gibt, noch die »stil-
kritische Methode«, deren Anwendung letzten Endes der geistreichen Willkür des
Einzelnen überlassen bleibt, wie die recht verschiedenartigen Stilcharakteristiken be-
weisen, zu denen ihre Vertreter: Riegl, Wölfflin, Worringer, Spengler usf. gelangen.

Einen großzügigen Versuch, dieser Schwierigkeit Herr zu werden und so eine
exakte Kunstwissenschaft zu begründen, stellt das Forschungsprogramm dar, das
Strzygowski in seiner »Krisis der Geisteswissenschaften« entworfen hat.

Um den Historismus und den philologisch beengten Gesichtskreis der Kunst-
wissenschaft zu überwinden, müssen wir zweierlei unternehmen. Erstens wird Kunst-
 
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