412
HELENE HERRMANN.
Mehr noch als im Ausgesprochnen liegt alles im angstvollen
Atem der Rede, in dem unvermittelten Übergang vom bewußt Ge-
fühlten zu diesem Gebet. Banquo spürt Versuchung. Aber wie
auf der Heideszene ist gerade dies verwandte Fühlen in ihm ein
Maßstab für Macbeth' anderes Sein, für die finstere Hoheit seines
Schicksals. Denn Banquo rührt das an, was im Räume lauert, auch
dem fühlbar, der es nicht rief, durch die Stärke seiner Gegenwart.
Aber er bezwingt es, denn aus ihm antwortet nur die Versuchbarkeit
des Menschen überhaupt, der Anteil aller an den gesetzlosen Kräften.
Anders Macbeth. Dort ist der im menschlichen Stoff eingesperrte
Dämon, den die freischweifenden weckten, schon gewaltig gewachsen,
und er rüttelt ans Tor seines Gefängnisses. Er antwortet anders den
Unsichtbaren, die jetzt die Sterne löschen und die Brunnen der Tiefe
aufbrechen. Er antwortet mit der Dolchvision. Vielleicht gerade aus
diesem Gegensatz heraus kann Banquo sich ganz wieder ordnen,
wenn Macbeth zu ihm tritt. Aber nicht Macbeth, sondern Banquo ist
es, der wie unter einem Zwang die Erinnerung beschwört, die sie
beide gemeinsam haben:
»/ dreamt last night of the three weird sisters
To you they have s/ww'd some truth.«
Diese Szene ist geladen mit Spannung: Macbeth' versteckter Ver-
such, Banquo mitzuziehen, Banquos halbausgesprochene Abweisung
— in diesem unterirdischen Dialog ist schon der zweite Mord da.
Und nun allein gelassen, wird Macbeth dem Verhängnis erliegen, das
in diesem Gespräch erst wetterleuchtete.
Von solch einer kurzen Szene strahlt Kraft nach manchen Seiten
aus. Unmittelbar vor dem Entschluß ist noch einmal der ganze meta-
physische Hintergrund der Tat vergegenwärtigt. Doch auch nach
menschlichen Gewichten wird uns die Schwere des Frevels vorge-
wogen. Denn Banquo erzählt, wie fürstlich Duncan Macbeth mit
Gaben überschüttet. Noch einmal wird Duncans Königshuld, sein ver-
schwenderisches Vertrauen gegenwärtig. Ferner ist hier das Verhältnis
vorausbestimmt zwischen Macbeth und seinem halben Mitwisser und
künftigen Opfer. Ein neuer Teil der dramatischen Bewegung setzt
somit ein, wenn der bisher sichtbare seinem Ende zueilt. Die Sätti-
gung der Stelle mit pausenloser Handlung, die zurückweist und über
sich weiterdrängt, hindert jedoch nicht, daß wir tief in diesen Augen-
blick selbst hinein müssen und in ihm festgehalten werden. Das ist
eine Doppelheit, die Shakespeares eigenstes Eigentum scheint; wie
die einzelnen Augenblicke zugleich tiefe Lebensoffenbarung sind und
Durchgangspunkte der dramatischen Flugbahn. —
Nun der Augenblick, für den dies noch stärker zutrifft, zu dem
HELENE HERRMANN.
Mehr noch als im Ausgesprochnen liegt alles im angstvollen
Atem der Rede, in dem unvermittelten Übergang vom bewußt Ge-
fühlten zu diesem Gebet. Banquo spürt Versuchung. Aber wie
auf der Heideszene ist gerade dies verwandte Fühlen in ihm ein
Maßstab für Macbeth' anderes Sein, für die finstere Hoheit seines
Schicksals. Denn Banquo rührt das an, was im Räume lauert, auch
dem fühlbar, der es nicht rief, durch die Stärke seiner Gegenwart.
Aber er bezwingt es, denn aus ihm antwortet nur die Versuchbarkeit
des Menschen überhaupt, der Anteil aller an den gesetzlosen Kräften.
Anders Macbeth. Dort ist der im menschlichen Stoff eingesperrte
Dämon, den die freischweifenden weckten, schon gewaltig gewachsen,
und er rüttelt ans Tor seines Gefängnisses. Er antwortet anders den
Unsichtbaren, die jetzt die Sterne löschen und die Brunnen der Tiefe
aufbrechen. Er antwortet mit der Dolchvision. Vielleicht gerade aus
diesem Gegensatz heraus kann Banquo sich ganz wieder ordnen,
wenn Macbeth zu ihm tritt. Aber nicht Macbeth, sondern Banquo ist
es, der wie unter einem Zwang die Erinnerung beschwört, die sie
beide gemeinsam haben:
»/ dreamt last night of the three weird sisters
To you they have s/ww'd some truth.«
Diese Szene ist geladen mit Spannung: Macbeth' versteckter Ver-
such, Banquo mitzuziehen, Banquos halbausgesprochene Abweisung
— in diesem unterirdischen Dialog ist schon der zweite Mord da.
Und nun allein gelassen, wird Macbeth dem Verhängnis erliegen, das
in diesem Gespräch erst wetterleuchtete.
Von solch einer kurzen Szene strahlt Kraft nach manchen Seiten
aus. Unmittelbar vor dem Entschluß ist noch einmal der ganze meta-
physische Hintergrund der Tat vergegenwärtigt. Doch auch nach
menschlichen Gewichten wird uns die Schwere des Frevels vorge-
wogen. Denn Banquo erzählt, wie fürstlich Duncan Macbeth mit
Gaben überschüttet. Noch einmal wird Duncans Königshuld, sein ver-
schwenderisches Vertrauen gegenwärtig. Ferner ist hier das Verhältnis
vorausbestimmt zwischen Macbeth und seinem halben Mitwisser und
künftigen Opfer. Ein neuer Teil der dramatischen Bewegung setzt
somit ein, wenn der bisher sichtbare seinem Ende zueilt. Die Sätti-
gung der Stelle mit pausenloser Handlung, die zurückweist und über
sich weiterdrängt, hindert jedoch nicht, daß wir tief in diesen Augen-
blick selbst hinein müssen und in ihm festgehalten werden. Das ist
eine Doppelheit, die Shakespeares eigenstes Eigentum scheint; wie
die einzelnen Augenblicke zugleich tiefe Lebensoffenbarung sind und
Durchgangspunkte der dramatischen Flugbahn. —
Nun der Augenblick, für den dies noch stärker zutrifft, zu dem