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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0464
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BESPRECHUNGEN.

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nur als das Ergebnis einer inneren, persönlichen Aneignung der Dinge möglich ist,
seine Anerkennung durch unsere Subjektivität hindurchgehen muß, liegt er doch in
den Kunstwerken selbst und ist ohne Rücksicht auf subjektive Beschauerstimmung
vorhanden. Lange hält das Zustandekommen einer allgemeinen Ubereinstimmung
der ästhetischen Urteile für möglich. Es sind sekundäre Momente, ausschaltbare
Fehlerquellen, die den möglichen consensus trüben.

Nach diesen allgemeinen Bestimmungen schreitet Lange in übersichtlicher Induk-
tion zur Bestimmung des wesentlichen Wertmoments. Dabei ist er bemüht, die
direkten und assoziativen Faktoren (ohne daß er diese Ausdrücke gebrauchte) zu
scheiden, die berechtigten Assoziationen von den unberechtigten zu trennen. Seine
Mühe wäre geringer gewesen, wenn er einigermaßen in der Geschichte der Kunst-
theorie bewandert gewesen wäre. Homes Scheidung zwischen »eigener« und »Ver-
hältnisschönheit« sowie die Weiterbildung dieses Gedankens durch Kant und andere
hätte auf Langes Ausführungen fördernd und klärend wirken können. — Lange
geht bei seiner Begründung des künstlerischen Werts von dem Gefühlswert im
weitesten Sinn aus, den ein Gemälde für einen Betrachter haben kann. So kann
der Wert eines Bildes auf dem Gefühlswert des dargestellten Gegenstandes beruhen.
Man wird das Bild des eigenen Geburtshauses, der Stätten fröhlichen Kinderlebens
schätzen, auch wenn das Bild nicht bedeutend ist. Oder man hält ein Bild deshalb
wert, weil es infolge des Urhebers — es stammt z. B. von der Hand eines früh-
verstorbenen Familienmitglieds — einen (privaten) Gefühlswert besitzt. Was diesem
Gefühlswert zum Kunstwert fehlt, ist zunächst die allgemein-menschliche Bedeutung.
Diese Bilder haben keinen allgemeinen Kunstwert, sondern einen privaten Pietäts-
wert zufolge unwesentlicher Privatassoziationen, die nicht notwendig, objektiv und
allgemein in der künstlerischen Darstellung liegen. Diese Assoziationen können aber
auch allgemeinmenschliche Bezüglichkeit erhalten — es kann sich z. B. um eine
besonders authentische Darstellung von Napoleons Sterbehaus oder um eine Zeich-
nung Goethes handeln — ohne daß sich dieses Verhältnis im wesentlichen änderte.
Es ist gleichgültig, welchen Wert der Gegenstand eines Bildes oder sein Erzeuger
für uns haben. Was allein wesentlich ist und in Frage kommt, das ist der Wert,
den der dargestellte Gegenstand für den darstellenden Künstler hatte. Von
hier aus kommt Lange nach eingehender Argumentation zu folgender Definition
des Kunstwerts. Der Kunstwert »ist der Wert, den der Stoff, wie es sich durch
das Bildwerk (die Darstellung des Stoffes) zeigt, für den Künstler gehabt hat und
den er dadurch auch für uns erhält«. Das ist der Grundgedanke. Es wird also der
Kunstwert genetisch zurückgeführt auf die Erlebnisstärke und Erlebnisfülle des
Künstlers. Mit diesem Gedanken steht Lange keineswegs allein. Man vergleiche,
Was J. Cohn im ersten Kongreß für Ästhetik (Bericht 1914, S. 98) darüber sagt. —
Dieser Wert ist allgemein menschlich und objektiv, ans Werk selbst gebunden. Er
muß von jedem Menschen anerkannt werden, der diese Bezeichnung verdient.

Diese zentrale Definition Langes gilt es richtig zu verstehen. Sie ist nicht un-
mißverständlich gefaßt; tatsächlich ist sie auch von einem maßgebenden zeitgenös-
sischen Kritiker mißverstanden worden. Es handelt sich hier nicht um eine bio-
graphische Persönlichkeitsäußerung des Künstlers, einen aktenmäßig nachzuweisen-
den menschlichen Anteil, den der Künstler an seinem Thema nahm, sondern um
eine intensive Organisation des Kunstwerks, jenen Duktus der künstlerischen Voll-
kommenheit, der entsteht, wenn sich der Künstler mit voller Seele und ganzem
Können seinem Gegenstand hingibt. Die dadurch dem Kunstwerk verliehene Organik
und innere Vollkommenheit ist der eigentliche anschaulich-unmittelbar erlebbare
direkte Faktor des Gefallens. In dieser Organisation der Form durch das starke
 
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