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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0479
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466

BESPRECHUNGEN.

Mystische Dichtung aus sieben Jahrhunderten; gesammelt, übertragen
und eingeleitet von Friedrich Schulze-Maizier. Im Inselverlag zu Leipzig, 1925.
Während wir in den letzten zwanzig Jahren von den großen Prosaisten der
deutschen Mystik, von Meister Eckhart, Seuse oder Tauler bereits eine ganze An-
zahl brauchbarer Auswahleditionen erhielten, ist demgegenüber die ältere mystische
Dichtung ganz in den Schatten getreten. Gründe dafür waren das alte Vorurteil,
das »bildlose, formentrückte« Erleben des Mystikers spotte ja aller dichterischen
Gestalt, und dann vor allem: die wertvollere mystische Dichtung blieb allzu tief
verschüttet und versteckt unter einer Unsumme von Mittelgut und Schlechterem,
wie es etwa Neander, die fünf Bände von Wackernagels »Deutschem Kirchenlied«
oder andere Sammlungen der Art aufgespeichert hatten. Umso dankenswerter ist
es darum, daß uns jetzt der Dresdener Literarhistoriker Friedrich Schulze-
Maizier eine besonders wertvolle Auswahl dieser mystischen Dichtung aus sieben
Jahrhunderten geschaffen und kommentiert hat. Die große, ausgezeichnet eindring-
liche Einleitung, die der Herausgeber dem Bande mitgab, ist nirgends befangen in
einer blinden Mystiksucht, wie sie heute so oft in allen Gassen zu finden ist, sie
predigt nicht Mystik in der Art eines im Grunde verlorenen Ausweichens gegenüber
jeder realen Entscheidung, in der Art eines billigen Überschwanges gegenüber jeder
strengen irdischen Schärfe. Aber gerade damit gelingt es ihr umso schärfer und
reiner, überall zu scheiden zwischen der echten Kraft, die Endliches zu Göttlichem
aufzureißen vermag, zwischen der echten Tiefe, die einst ihr begrenztes Ich und
das ewige Sein wahrhaft in eins zu verschmelzen wußte und zwischen jedem
blasseren Rausch einer nur spielenden oder schwächlichen Unio mystica. Und auch
die drängenden, ernstesten Fragen, wieweit ist mystisches Erleben wesentlich subli-
mierte Erotik, wieweit ist sie gar innerlich verrenktes Liebesempfinden, all diese
schwerste Problematik des mystischen Denkens ist hier nicht verschwiegen worden.
Aber gerade so konnte erst das ewige Recht und die leuchtende Kraftvollen mysti-
schen Lebens wirklich ungeschwächt herausgehoben werden. Und Schulze-Maizier
führt uns mit sicherem Griff mitten durch die mächtige Zeitspanne vom begin-
nenden 12. bis zum beginnenden 19. Jahrhundert hindurch, von Hildegard von Bingen
und Mechthild von Magdeburg bis hin zu Herder, Novalis und Goethe, indem er
überall in außerordentlich lebendigen und farbigen Formen den inneren und den
äußeren kultur- und geistesgeschichtlichen Wandel des einen großen mystischen
Grunderlebnisses nachzeichnet und doch auch zugleich die erschütternde Gleichheit
der einen großen mystischen Grundsehnsucht ergreifend herauszuschälen versteht. Ja
auch das dichterische Erlahmen und das innere Ausgleiten und Ermatten mancher
Zeitläufte brauchte so nicht unterdrückt zu werden und konnte doch den innersten
Schwung dieser großen Gesamtlinie der Entwicklung mystischer Dichtung nicht brechen.

Jedenfalls ein höchst feinsinniges und kenntnisreiches Buch, das uns eine breite
Fülle unbeachteten Kulturgutes in bester Form wieder zugänglich und unmittelbar
lebendig zu machen weiß. Wer über das Wesen deutscher Mystik sprechen und
denken will, darf von jetzt an auch an diesem Bande mystischer Dichtung nicht
mehr vorübergehen.

Berlin. - David Baumgardt.

Friedrich Kainz, Das Steigerungsphänomen als künstlerisches Ge-
staltungsprinzip. Eine literaturpsychologische Untersuchung. (Beihefte
zur Zeitschr. f. angew. Psych. J. A. Barth, 1924.)
Der Verfasser greift in psychologisch gut fundierter Untersuchung ein zentrales
Problem der Ästhetik auf und führt es speziell für die Literaturwissenschaft durch.
 
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