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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0483
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BESPRECHUNGEN.

geschichte zur Seite treten«. — Der Band wird abgeschlossen durch Josef Nadlers
Betrachtung »Ostfranken 1814— 1S48«. Man mag im übrigen landschaftsmäßiger
Literaturbetrachtung weiten Raum gönnen, die hier gegebene Zusammenstellung
vermag ihr kaum Freunde zu werben. Sie wirkt zu sehr als zufälliges, innerlich-
sachlich nicht gefordertes Mosaik, das auch durch zuweilen einleuchtende Züge
tieferer Verwandtschaft und Zusammengehörigkeit der hier genannten Persönlich-
keiten nicht zum organisch lebendigen Bild wird.

Festschriften leiden fast stets am Mangel eines einheitlichen Gedankens. Jeder
Mitarbeiter stiftet einen beliebigen Aufsatz, und die Herausgeber sind schon sehr
froh, wenn sich vielleicht noch gar gewisse Fäden zwischen dem einen und anderen
spinnen. Auch die hier dargebotenen Aufsätze stehen fast ganz unverbunden neben-
einander, doch haben sie Eigengewicht genug, trotzdem ein erfreuliches Ganzes
zu bilden.

Statt des an dieser Stelle im Manuskript dieser Anzeige ausgesprochenen
Wunsches, daß die beiden Muncker-Festschriften sich 1936 zum Dreiklang erweitern
möchten, muß jetzt der Trauer über den Tod des Gefeierten Ausdruck gegeben
werden.

Greifswald. - Kurt Gassen.

Hermann Hettner, Geschichte der deutschen Literatur im 18.Jahr-
hundert. 7. Auflage, mit einer kritischen Würdigung und einem biblio-
graphischen Anhang herausgegeben von Ewald A. Boucke. Braunschweig,
Vieweg & Sohn, 1925,26. Drei Bücher in vier Bänden.
Die Geschichte der Literatur des 18. Jahrhunderts, die Hermann Hettner ge-
schrieben hat, ist ein Beispiel dafür, daß der Ruhm einer historischen Darstellung
nicht unbedingt auf der Genialität oder Gründlichkeit beruhen muß, mit denen der
Geschichtschreiber seinen Stoff durchdrungen hat. Um eine hohe Staffel des Erfolgs
zu erreichen, genügt es, wenn die Vorurteile des Historikers mit denen seiner Epoche
auf eine glückliche Weise zusammentreffen. Sein Werk wird von den Zeitgenossen
mit Begeisterung aufgenommen, und führt manchmal sogar noch ein Scheinleben
weiter, wenn die Epoche, für die es geschrieben ist, nur noch In den Archiven der
Bildung ein träumerisches Dasein fristet.

Wenn ein künftiger Historiker der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einmal
die Ideologie des aufgeklärten Bürgertums wird darstellen wollen, so braucht er
nur einen Auszug aus Hettners Literaturgeschichte zu geben — falls er es nicht
vorzieht, den kürzeren Weg über D. F. Straußens »Alten und Neuen Glauben« ein-
zuschlagen. Was den Verlag bewegen konnte, ein in jeder Beziehung veraltetes
Werk von vier Bänden in einer zur Sparsamkeit aufrufenden Zeit neu zu drucken,
kann nur jene Zähigkeit sein, mit der unsere Öffentlichkeit an der überlieferten
Legende des 18. Jahrhunderts und der klassischen Zeit von Weimar festhält. Die
neue Auffassung des 18. Jahrhunderts, zu der wir gelangt sind, hat noch kein zusam-
menfassendes, repräsentatives Werk aufzuweisen. Darin dürfte aber schwerlich eine
Entschuldigung dafür zu suchen sein, daß man zu Hettner greift. Es liest sich nichts
leichter und angenehmer als diese leichte und angenehme Geschichte des 18. Jahr-
hunderts. Warum sich aber den Geschmack an einem reichen und bewegten Jahr-
hundert europäischen Geistes durch eine allzu vereinfachende Darstellung verderben
lassen, bloß um die Ideen des deutschen Bürgertums um 1870 kennen zu lernen?
Die einst so sehr bewunderte Lebendigkeit des Erzählertones genügt schließlich
n icht, das Bewußtsein davon schwinden zu lassen, daß wir unter Geschichte und
Geschichtschreibung heute etwas anderes, schwierigeres verstehen, als Hettner
 
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