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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0504
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BESPRECHUNGEN.

491

Hans Knudsen, Das Studium der Theaterwissenschaft in Deutschland.
Handbücher des Hochschulstudiums in Deutschland. (Im Auftrag des Aus-
landsamtes der Deutschen Studentenschaft herausgegeben von W. Zimmer-
mann und Heinz Hendriock.)
Immer noch liegt die junge Wissenschaft vom Theater zwischen drei mehr
oder weniger scharfen Feuern. Einmal ist da der schreibselige Dilettantismus, dem
sie allmählich — langsam, aber umso sicherer — entwächst und das Wasser ab-
gräbt, so daß er voll Unmut und unter gelegentlichen Gegenstößen zusehen muß,
wie er wiederum aus einer seiner Hauptdomänen, ja geradezu aus seiner Hoch-
burg heraus — oder doch an die Randgebiete — verdrängt wird; ganz wird er
natürlich nie zu vertreiben sein. Zum zweiten sperrt sich die zünftige Wissenschaft
in teils tiefgründiger Skepsis, teils konventioneller Verknöcherung gegen den neuen
Eindringling, der ihr nicht die nötigen Garantien »ausreichender Vorbildung« zu
bieten scheint, — ja sie traut ihm gar nicht zu, daß er überhaupt imstande ist, diese
jemals zu erwerben. Und zum dritten endlich gibt sich die praktische Kunstübung
nicht weniger reserviert. Wenn sie nicht gar die Nase rümpft über die »Stuben-
gelehrten« und von dem alten Recht des freien Künstlers, über die pedantischen
Anatomen seiner springlebendigen Alusenkinder sich zu ärgern oder zu moquieren,
ausgiebig Gebrauch macht, so setzt sie doch oft noch sehr wenig Vertrauen in die
Bereicherungsmöglichkeiten von Seiten der in ihren Augen mehr oder weniger ab-
strakten Theorie. Aber gerade diese dritte Front ist in den letzten Jahren am meisten
gelockert worden; nicht zuletzt die maßgebenden Leute der Praxis sind ganz und
gar nicht mehr unter den Schreiern wider den »lateinischen Regisseur« zu finden.
Die Dinge haben sich ja auch entschieden geändert in unserem Bühnenleben; der
wissenschaftlich vorgebildete Bühnenmann ist auf schnellem Vormarsch und heute
längst keine Ausnahme mehr. Und an die Adresse der hier noch Zweifelnden richtet
sich vor allem die obige Schrift; sie will — in Verbindung mit unmittelbar infor-
mierenden und propädeutischen Zwecken — die letzten Widerstände brechen und
sucht deshalb mit Erfolg die Grundlosigkeit jenes alten verallgemeinernden Vorurteils
zu beweisen. Knudsen ist aber keineswegs blind und einseitig genug, solche wissen-
schaftliche Vorbildung unter allen Umständen fordern zu wollen. Wie alle ernst-
haften Vertreter seines Faches weiß er sehr genau, daß ursprüngliche Theater-
begabung wesentliche Voraussetzung ist und bleiben muß. Aber eben Voraussetzung!
Genies brauchen über sie hinaus allerdings nichts mehr als allenfalls praktische Er-
fahrung. Aber sie stehen bekanntlich nicht an allen Straßenecken. Das Talent —- auch
das große Talent! — wird durch Bildung immer gefördert werden, am allermeisten
in schwankenden, stilunsicheren Zeiten und gerade in der überaus stark theoretisch-
wissenschaftlich unterbauten künstlerischen Tätigkeit des Regisseurs und noch mehr
des Dramaturgen, Theaterleiters, Kritikers — sofern dieser ist, was er sein soll.
Doch scheint mir hier eine Einschränkung nötig, die Knudsen übersieht: Nicht nur
der Schauspieler unterliegt — seiner anderen menschlichen und geistigen Struktur
gemäß — anderen Bildungsbedingungen: es gibt auch unter den Regiebegabungeu
solche ähnlicher Natur, für die theoretisch-historisches Wissen und abstrakte Syste-
matik nicht nur keine Bereicherung und Förderung, sondern manchmal geradezu
unerträgliche Belastung und Hemmung mit sich bringen, weil bei ihnen der geistige
Schaffensprozeß, dem des Genies in der Art, wenn auch nicht im Ausmaß ver-
wandt, auf unbewußte Unmittelbarkeit angewiesen bleibt. Eines schickt sich nicht
für alle und man sollte sich hüten, solche Leute in theaterwissenschaftliche Institute
zu drängen; das Ergebnis diskreditiert in solchem Falle nicht jene Begabungen,
sondern die Ausbildungsmethode! —
 
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