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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 35.1941

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Hartlaub, Gustav Friedrich: Körper, Raum und Ton im frühen Mittelalter
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https://doi.org/10.11588/diglit.14214#0021
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KÖRPER, RAUM UND TON IM FRÜHEN MITTELALTER 7

dacht werden muß, daß die postbarocke Spätantike durch die immer wie-
der einwirkende byzantinische Kunst stets gegenwärtig blieb2).

So läßt sich die romanische Plastik und Malerei nur als eine relativ
und gebrochen archaische, als eine typisch „n e o a r c h a i s c h e" ver-
stehen. Aber auch die Baukunst, so ausgeprägt und typisch archaisch, so
„ägyptisch" oder „dorisch" sie in manchen Zügen anmuten mag, muß
doch sogleich mit der Bewältigung von Aufgaben beginnen, die als
solche eigentlich am E n d e einer Entwicklung zu stehen pflegen und dies-
mal auch wirklich — in der Kunst der „christlichen Antike", ihrem west-
lichen wie ihrem byzantinischen Bereich — gestanden hatten! Dies charak-
teristische Haften am rein Quantitativen, Massenhaften, Tastbaren, wie es
eigentlich der noch frühzeitlichen Seelenlage des neu in den Kulturbereich
tretenden Volkes entsprochen hätte, muß sich von Anfang an mit Raum-
problemen auseinandersetzen und zwar solchen, die gerade aus dem
spätantik-körperfeindlichen Bewußtsein geboren sind. Das bringt in die
gesamte vorromanische wie eigentlich romanische Architektur eine eigen-
tümliche Spannung, einen Dualismus, der sich freilich auf die Dauer
nicht als hemmend, sondern eher als vorwärtstreibend erwiesen hat. Die
Wucht geschlossener Massenkörper, mit ihren geringen Öffnungen, ihrer
Massivität, vom alten horror vacui beherrscht, muß doch den Innenraum,
das Leere umschließen, konstruktiv für ihn da sein. Vom Anfang an ist
das Erlebnis der Masse kein rein statisches wie in Ägypten, sondern
ein schwerfällig dynamisches gegenüber den reinen Flächen und Ge-
raden, die sich im rechten Winkel begegnen wie in Ägypten und im
Dorismus; herrscht von Anfang an im Außenbau die unruhige tiefen-
suchende Kurve — genau wie in Zeichnung und Relief immer wie-
der mit der eigentlich archaischen, d. h. raumlosen Stofflichkeit des Grun-
des die Vorstellung einer dritten (mindestens symbolisch angedeuteten)
dritten Dimension kämpft. So wirkt sich die neue christlich-germanische
(so darf man sie wirklich nennen) Körperempfindung sogleich darin aus,
daß sie, wo die Ägypter nur einfach Masse und Grenze setzten, vielmehr
eine — freilich ganz massengebundene — Kraft und schon eine gewisse
Bezugnahme auf das Grenzenlose zum Ausdruck brachte. In den mageren
Raumverschlag der altchristlichen Basilika mit ihrem gleichsam span-
nungslosen Verlauf brachte man Körper, Kraft, Masse und Bewegung,
Schwere und Richtung zugleich. In Momenten wie Verdoppelung der

2) Man könnte bei solchen Details auch noch an jene vorarchaische (primitive),
noch ungesetzmäßige Eindruckskunst denken, die z. B. in ostasiatischer, auch
sumerisch-babylonischer Frühkunst nachwirkt und die auch im prädynastischen
Ägypten erkennbar ist, bevor die eigentliche, einem entwickelten Begriffswesen
entsprechende Archaik einsetzt.
 
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