Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 35.1941

DOI Artikel:
Trunz, Erich: Die Überwindung des Barock in der deutschen Lyrik, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14214#0206
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Überwindung des Barock in der deutschen Lyrik

Von
Erich Trunz

Die Frage nach der Oberwindung des Barock in der deutschen Dich-
tung fragt zugleich danach, in welcher Gestalt und an welcher Stelle
zum letzten Mal das Barock sich voll verwirklichte, und danach, welche
Kräfte es waren, die dann das Barock überwanden und eine neue Zeit —
die Goethezeit — heraufführten. Wir können heute die Goethezeit in ihrem
Wesen, ihrer Entwicklung und also auch in ihren ersten Anfängen uns
deshalb besonders deutlich machen, weil wir selbst bereits von ihr Ab-
stand gewinnen und die Empfindung haben, im Beginn einer neuen Ent-
wicklung zu stehen. Das Gesamtgefüge ihrer Kultur war stärker auf das
Subjektive und das Abstrakt-Idealistische hin aufgebaut als das der
heutigen. Und doch verbindet uns vieles mit ihr, zumal das Bild des
Menschen, der immer ein in die Grenzen seiner Art geschränkter, tragisch
begrenzter, immer nur der auf seinem Wege Strebende bleibt, und das
Bild der Kunst, die als eine nach innerem Gesetz wachsende Schöpfung
aufgefaßt wird. Und diese verbindenden Züge treten gerade dann hervor,
wenn wir zum Vergleich als drittes das Barock ins Auge fassen mit
seinem Glauben an ein Weltsystem, an die Autorität eines geoffenbarten
Heils und klassischer Vorbilder, an die absolute Erkennbarkeit der Dinge,
an lehrbare Regeln der Kunst. In diesen Zügen scheint es nahe Verwandt-
schaft mit dem Mittelalter zu besitzen. Und da es entscheidende Wesens-
züge sind, wird somit das Barock zur letzten Phase einer weit größeren
älteren Zeitspanne, die Goethezeit aber zur ersten Phase einer nun be-
ginnenden neuen, und die Wende zwischen beiden wird zum Beginn der
Neuzeit schlechthin.

Nun ist zwar die geschichtliche Entwicklung selbst unentwegt im Fluß
und kennt keine Grenzen. Aber das kulturelle Leben erreicht von Zeit
zu Zeit Ausprägungen, die sich von anderen ebenso großen und reinen
Leistungen anderer Zeiten wesenhaft unterscheiden, etwa in der Kultur
der Karolingerzeit, der Stauferzeit, des Barock, der Goethezeit. Und wo
 
Annotationen