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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 35.1941

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San Lazzaro, Clementina di: Über die Beziehungen zwischen Literatur und Naturwissenschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.14214#0231
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Über die Beziehungen zwischen Literatur
und Naturwissenschaft

Von

Clementina di San Lazzaro

Wir haben öfters Gelegenheit gehabt, über das verschiedene Verhältnis
nachzudenken, in welchem der Mensch zu der literarischen und natur-
wissenschaftlichen Tätigkeit steht, und über den verschiedenen Grad von
Anziehungskraft, welchen bzw. jede von ihnen besitzt. Aus dem Vergleich
zwischen dem subjektiven Charakter, der unwiderstehlichen verführenden
Anziehungskraft, der größeren Zugänglichkeit und Relativität der einen,
und der erbarmungslosen Objektivität der anderen, welche keine Kom-
promisse kennt und mit keinem lügenhaften Schein schmeichelt, deren
einzelner Maßstab der konkrete Beweis, die reine Tatsache ist, — sind
wir zu der Überzeugung gelangt, daß die Literatur sich an der Natur-
wissenschaft ein Beispiel nehmen sollte, um die eigene, heute in großer
Gefahr stehende Würde zu retten, und daß sie darauf verzichten müßte,
den Geist als ein abgeschlossenes, außerhalb der Natur stehendes oder ihr
geradezu entgegengesetztes Gebiet zu betrachten.

Der Mensch findet in den höchsten Naturgeheimnissen einen Maßstab,
der keinerlei Verblendung, keinen willkürlichen Zwang duldet und ihn
sogar dem eigenen Selbst entfremdet; dagegen in der Isoliertheit der
schöpferischen, künstlerischen Tätigkeit, wovon er Mittelpunkt und Quell
zugleich ist, fehlt ihm die Kontrolle der objektiven, auf experimentale
Weise bewiesenen Wahrheit. — Darum flutet sein ganzes Werk in dem
grenzenlosen Meer der Relativität, da es aus persönlichen Prinzipien, Ten-
denzen, Anschauungen hervorgeht und wiederum ebenso verschiedenarti-
gen individuellen Maßstäben begegnet. — Daher, als ausschließlich sub-
jektives Produkt, als Erzeugnis jener Grundfaktoren der universellen Man-
nigfaltigkeit, welche Geschmack und Seele sind, — als Blut unseres Blutes,
Fleisch unseres Fleisches, — bleibt die literarische Tätigkeit von der not-
wendigen Liebe abhängig, die das Ich zu sich selbst hat, und identifiziert
sich mit ihm in einer Weise, daß es unfähig wird, das- eigene Werk den

Zeitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft XXXV. 14*
 
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