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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 35.1941

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Riemschneider-Hoerner, Margarete: Farbe und Licht bei Homer
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https://doi.org/10.11588/diglit.14214#0095
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Farbe und Lidit bei Homer

Von

Margarete Riemsdmeider-Hoerner

Die farbige Welt Homers hat die Forscher von jeher beschäftigt
wegen ihrer Eigenart, um nicht zu sagen Eigentümlichkeit. Denn ein
purpurnes Meer, blaues Haar und ein roter Regenbogen entsprechen
nicht unseren gewohnten Vorstellungen und allzu große dichterische
Freiheit gestatten wir einem Dichter der Vorzeit nicht. Aber noch erstaun-
licher als das Auftreten der fremdartigen Verbindungen ist das Fehlen
uns geläufiger Vorstellungen wie „blauer Himmel" und „grüner Baum",
ja das Fehlen aller leuchtenden Farben überhaupt. Statt dessen fand
man schwer deutbare, vielfältig schillernde Eigenschaftsworte, von denen
man nicht recht weiß, inwieweit sie eine Farbe, inwieweit eine Form oder
auch nur einen Glanz angeben wollen, dazu dann ein Überwiegen von
Rot und Gelb gegenüber Blau und Grün. Und so hat man allen Ernstes
angenommen, die Griechen seien farbenblind gewesen und hätten zwar
Rot und Gelb, aber noch nicht Blau und Grün unterscheiden können1).
Nicht viel besser steht es aber mit einer Erklärung wie die, es handle
sich hierbei um eine primitive Stufe des Farbsehens, Glanz und Licht
seien leichter und eher wahrzunehmen als die einzelnen Farbtöne2).
Jede Kinderzeichnung belehrt uns eines anderen. Denn gerade die Viel-
fältigkeit vermissen wir nicht — es gibt allerdings Forscher, die auch

J) H. Magnus, Die geschichtliche Entwicklung des Farbensinns. Leipzig 1877.

2) K. Müller-Bore, Stilistische Untersuchungen zum Farbwort und zur Ver-
wendung der Farbe in der älteren griechischen Poesie. Berlin 1922, S. 47. „die
zahlreichen, in der absoluten formelhaftigkeit der Verwendung auf hohes alter
deutenden glanzworte... lehren, daß der primitive dichter, gleich dem kinde neben
dem umriß eines gegenständes zunächst seine helligkeit oder Stumpfheit bemerkte,
für die färbe, die erst ein geübterer blick unterscheidet, ein geschulteres gedächtnis
bewahrt, mußte er sich seine terminologie erst bilden." — Dies wird kein Psycho-
loge, nicht einmal das einfachste Kindermädchen wahr haben wollen. Frage ich
meine Tochter: „Wie war das neue Kleid der Freundin?" so sagt sie: „Rot", aber
nicht „kurz" oder „lang" oder „glockig". Frage ich dann: „Ein helles oder dunkles
Rot?", so findet sie diese Frage einfach töricht. Das Kleid ist rot. Punktum.

Zoitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft XXXV. 6
 
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