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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 35.1941

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Riemschneider-Hoerner, Margarete: Farbe und Licht bei Homer
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https://doi.org/10.11588/diglit.14214#0096
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MARGARETE RIEMSCHNEIDER-HOERNER

diese vermissen3) — sondern die Leuchtkraft. Was tut aber das Kind
mit dem ersten Tuschkasten? Es setzt einen roten Klecks neben einen
grünen und dazu einen gelben, aber schwarz und weiß oder hell und
dunkel, wie man sie bedauernd als einzige Grundlage der Epen hat
ansehen wollen, existiert auf dieser Palette nicht.

Demnach: um eine Vorstufe, um ein unentwickeltes Sehen kann es
sich nicht handeln. Aber auch der Philologe hilft uns hier nicht weiter,
der die wirkliche Farbbezeichnung sich erst nach Homer entstanden denkt.
Wir können nicht annehmen, daß die homerischen Griechen bei der
Vielfalt der farbigen Bezeichnungen etwa für Rot sich noch gar keine
Farbe gedacht haben; es kann nicht alles schlechthin Gleißen oder
Dunkel gewesen sein. Und wenn in der Ibas stehtt*&QS xvavög, so ist dies
eben blauschwarz, und wir nehmen mit Recht an, daß jedes xvavög auch
ohnepM-ag blauschwarz ist und nicht einfach schwarz. Wenn Homer in
der Tat nur helle und dunkle oder besser gedeckte Farben verwendet,
so doch immerhin Farben.

Wenn wir uns gegen diese gedeckten Farben so sehr sträuben, so
geschieht es aus dem Vorurteil heraus, als sei die Ilias ein solch heiteres
Buch, in dem sich nur bunt gekleidete Helden unter blau strahlendem
Himmel ergehen könnten. Aber die Ilias ist gar kein heiteres Buch, eher
ein sehr düsteres, und die Farbhaltung entspricht genau dem, was die
Helden uns lehren, handelnd und wandelnd, lebend und sterbend. Der
finstere Trotz, der starre Mut, die wütenden Ausbrüche und das Sich-
hinein-Werfen in Gram und Zorn, in Furcht und Schrecken entspricht
ganz dem „bleichen Entsetzen" (jMqöv teog) und dem schwarzen Ver-
hängnis (xijQßslalvri). Kann das Blut dieser Helden anders sein als dun-
kelwolkig, schwarz? Stehen an diesem Himmel nicht ständig Sturm und
Gewitter, wüten nicht immerdar Stürme, Flagel und Schnee und dazu
dann der Nebel, dieser viele Nebel, und die unendlichen Wolken? Ein
so nebelreicher und wolkiger Himmel ist nur ganz selten klar, die Him-
melshelle aWi)Q oder alyln ist etwas Ersehntes, keineswegs Selbstver-
ständliches. Daß dies mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt? Daß der
Himmel in Griechenland meist blau und heiter ist und daß dies die
Griechen Homers doch gesehen haben müßten, um so mehr als sie sonst
so sehr genau sahen? Sie sahen es nicht oder sie wollten es nicht. Sie
hatten ein anderes Weltbild als die Griechen perikleischer Zeit, wenn
auch kein primitiveres.

Wir müssen uns daran gewöhnen, geschichtlich zu sehen und nicht
absolut. Die Naturnähe ist in diesem Fall kein Wertmesser und das Un-

3) W. E. Gladstone, Studies on Homer and the Homeric Age. Oxford 1858.
 
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