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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 35.1941

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Böhm, Wilhelm: Gestalt und Glaube in der Hölderlinliteratur
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https://doi.org/10.11588/diglit.14214#0041
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GESTALT UND GLAUBE IN DER HÖLDERLINLITERATUR 27

Hölderlinaufsatz5) sehe ich eine Verwandtschaft mit meiner Auffassung
trotz seines sonstigen Denkens. Ähnliches, wennschon im Denken anders
als bei Heidegger begründet, finde ich im Hölderlinkapitel von „Idee und
Existenz" von HansHeyse6). — Auf H. A. Korff's7) und Günther Müllers8)
und andere in einen größeren Zusammenhang gestellte Bilder des Dich-
ters will ich ein späteres Mal eingehen.

Von weiteren Erscheinungen der letzten Zeit wähle ich drei zur
Erörterung, die ich zunächst gleichmäßig begrüße, weil nicht genug
Bücher von Gehalt geschrieben werden können, um den zu wenig be-
kannten Dichter uns nahe zu bringen.

Die stattliche Arbeit Kurt Hildebrandts, „Hölderlin"9), begrüße ich ins-
besondere um des Untertitels „Philosophie und Dichtung" willen. Es
war mit das wichtigste Anliegen meiner Arbeit, die Doppelbegabung
Hölderlins herauszustellen mit ihrer Wechselbeziehung, und ich habe mir
damit die Anfeindungen zugezogen, einerseits philosophiefeindlicher Lite-
raten und andererseits Böckmanns, der Hölderlins Frömmigkeit von
Philosophie lösen will. Jetzt kann Hildebrandt sich das mehrfach durch-
forschte Material zunutze machen, um die Schlaglichter nach seiner
Sicht zu setzen.

Hildebrandts Darstellung ist zunächst geistesgeschichtlich, mit der
besonderen Wertsetzung, zu zeigen, daß die Geschichte der deutschen
Philosophie mit der — schon von Dilthey so genannten — „deutschen
Bewegung" zusammenfällt. Als ganzheitliches Denken geht sie von der
deutschen Mystik zu Leibniz, Herder, Goethe als der deutschen Renais-
sance, die im Hellenentum nicht ein Muster, sondern den blutsverwandten
Geist, den älteren Bruder des deutschen Volkes erfaßt. Sie erreicht in
Hölderlin ihre Vollendung, dadurch daß der Dichter im Volksgedanken
aufgeht, den Goethe zu gestalten resignieren mußte, obwohl er das
„pöbelhafte neunzehnte Jahrhundert" heraufkommen sah. An der Reihe
Kant, Schiller, Fichte wird zwar die Größe der Geister notgedrungen
anerkannt, aber ihr Einfluß wird bald als westlerisch rationalistisch,
bald als subjektivistisch, jedenfalls als eine Störung der Entwicklung
empfunden, so daß die deutsche Philosophie mit der Tragödie des ver-
kannten Hölderlin einen Schaden erleidet, den sein mitstrebender Freund
Sendling nicht wieder gutmachen kann, während Hegel die gewonnene
Höhe wieder in Rationalismus verflacht. Auch die Bewegung der Frei-

5) Hölderlin und das Wesen der Dichtung. München 1937. Vgl. S. 428 Anm. zu
oben 4).

6) Hanseatische Verlagsanstalt Hamburg. 1935. S. 330 ff.

7) Geist der Goethezeit. III, 1. Frühromantik. J.J.Weber. Leipzig 1940.

8) Geschichte der deutschen Seele. Herder u. Co., Freiburg 1939.

9) W. Kohlhammers Verlag, Stuttgart und Berlin 1939. 291 S.
 
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