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PAUL BRUCHHAQEN
keit, so hat diese ganz gewiß an der Komposition teil. Die Persönlichkeit
kann ohne eine bestimmte Weltanschauung nicht gedacht werden. Diese
nimmt nicht minder Anteil an dem musikalischen Gebilde. Insofern bilden
Persönlichkeit und Weltbild nur relative Transzendenzen. Sie stehen dem
Kunstwerke näher als die absolute Transzendenz abstrakter Begriffe.
Ist es möglich, abstrakte Begriffe „in Musik zu setzen"? Wir nehmen
„Liebe" und „Zorn" zum Beispiel. Liebe kann eine bestimmte Liebe zu
einem bestimmten Etwas sein. Liebe „an sich" ist ein Abstraktum. Es gibt
eine Idee der Liebe, des Zornes. Die Ideen der Liebe und des Zornes sind
keine abstrakten Begriffe. Die Idee steht über dem abstrakten Begriff und
über dem konkreten Gefühl von etwas. Das Gefühl ist wesensmäßig ein
intentionales. In Idee gesetzt, verliert es nicht seine Intentionalität. Zwei
Erörterungswege können nun gegangen werden, der Weg der direkten
und der der indirekten Analyse. Die direkte Analyse setzt „frontal" bei
den musikalischen Gebilden an. Man versuche einmal die Idee „Liebe" aus
iigendeinem musikalischen Gebilde herauszulesen. Der musikalische
Instinkt mag ein Kunstwerk finden, in dem die Idee „Liebe" irgendwie
ihren Niederschlag gefunden hat, aber — wir sagten es schon — der
blinde Instinkt hat zu Hilfe kommen müssen. Rein sachlich gelingt nie
der eindeutige Erweis aus der fülle der Musik für die Idee „Liebe". Ein-
deutig muß er schon sein, wenn die Bemühungen um ihn einem theo-
retischen Zwecke dienen. Die Liebe ist kein Phänomen, das im Beispiel
Erfolg verspräche. Weit günstiger stellt eine Idee wie etwa der Zorn
unsere Erörterungen. Zorn müßte sich wohl prägnant in musikalischen
Gebilden wiederfinden, denn der Zorn ist nicht so differenziert, hat nicht
so viele Nuancen und variiert nicht so stark wie die Liebe. Die Analyse
konkreter Fälle — Beethovens Werke sollen gute Beispiele liefern — führt
zu dem Resultate, daß sich eine Idee wie der Zorn genau so wie die Liebe
in musikalischen Gestalten nicht greifbar niederschlägt. Zwischen jenen
Ideen und musikalischen Gebilden besteht kein zwingender Zusammen-
hang. Keine musikalische Gestalt ist Erscheinung oder Verkörperung,
Repräsentation oder Darstellung, Ausdruck von Liebe oder Zorn.
Der zweite Erörterungsweg führt von dem „schöpferischen Hinter-
grund" zu der Komposition.
Der Künstler steht in Zorn über etwas. Könnte er jemals in die Lage
kommen, zornig „an sich" zu werden? Zorn ist Zorn über etwas. Der
Mensch erlebt keine Abstrakta. — Wir denken uns den Komponisten in
einen zornigen Zustand versetzt, der in ihm, dem schöpferisch beanlagten
Musiker, nach Entladung drängt. Der nächste Schritt in der Analyse setzt
uns allen Eventualitäten aus. Der Künstler kann den Zorn verrauchen
PAUL BRUCHHAQEN
keit, so hat diese ganz gewiß an der Komposition teil. Die Persönlichkeit
kann ohne eine bestimmte Weltanschauung nicht gedacht werden. Diese
nimmt nicht minder Anteil an dem musikalischen Gebilde. Insofern bilden
Persönlichkeit und Weltbild nur relative Transzendenzen. Sie stehen dem
Kunstwerke näher als die absolute Transzendenz abstrakter Begriffe.
Ist es möglich, abstrakte Begriffe „in Musik zu setzen"? Wir nehmen
„Liebe" und „Zorn" zum Beispiel. Liebe kann eine bestimmte Liebe zu
einem bestimmten Etwas sein. Liebe „an sich" ist ein Abstraktum. Es gibt
eine Idee der Liebe, des Zornes. Die Ideen der Liebe und des Zornes sind
keine abstrakten Begriffe. Die Idee steht über dem abstrakten Begriff und
über dem konkreten Gefühl von etwas. Das Gefühl ist wesensmäßig ein
intentionales. In Idee gesetzt, verliert es nicht seine Intentionalität. Zwei
Erörterungswege können nun gegangen werden, der Weg der direkten
und der der indirekten Analyse. Die direkte Analyse setzt „frontal" bei
den musikalischen Gebilden an. Man versuche einmal die Idee „Liebe" aus
iigendeinem musikalischen Gebilde herauszulesen. Der musikalische
Instinkt mag ein Kunstwerk finden, in dem die Idee „Liebe" irgendwie
ihren Niederschlag gefunden hat, aber — wir sagten es schon — der
blinde Instinkt hat zu Hilfe kommen müssen. Rein sachlich gelingt nie
der eindeutige Erweis aus der fülle der Musik für die Idee „Liebe". Ein-
deutig muß er schon sein, wenn die Bemühungen um ihn einem theo-
retischen Zwecke dienen. Die Liebe ist kein Phänomen, das im Beispiel
Erfolg verspräche. Weit günstiger stellt eine Idee wie etwa der Zorn
unsere Erörterungen. Zorn müßte sich wohl prägnant in musikalischen
Gebilden wiederfinden, denn der Zorn ist nicht so differenziert, hat nicht
so viele Nuancen und variiert nicht so stark wie die Liebe. Die Analyse
konkreter Fälle — Beethovens Werke sollen gute Beispiele liefern — führt
zu dem Resultate, daß sich eine Idee wie der Zorn genau so wie die Liebe
in musikalischen Gestalten nicht greifbar niederschlägt. Zwischen jenen
Ideen und musikalischen Gebilden besteht kein zwingender Zusammen-
hang. Keine musikalische Gestalt ist Erscheinung oder Verkörperung,
Repräsentation oder Darstellung, Ausdruck von Liebe oder Zorn.
Der zweite Erörterungsweg führt von dem „schöpferischen Hinter-
grund" zu der Komposition.
Der Künstler steht in Zorn über etwas. Könnte er jemals in die Lage
kommen, zornig „an sich" zu werden? Zorn ist Zorn über etwas. Der
Mensch erlebt keine Abstrakta. — Wir denken uns den Komponisten in
einen zornigen Zustand versetzt, der in ihm, dem schöpferisch beanlagten
Musiker, nach Entladung drängt. Der nächste Schritt in der Analyse setzt
uns allen Eventualitäten aus. Der Künstler kann den Zorn verrauchen