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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 35.1941

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https://doi.org/10.11588/diglit.14214#0080
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66

BESPRECHUNGEN

Der zusammengetragene Stoff ist dürftig. Schrecklinger sammelt nur einige der
oft geradezu unwahrscheinlichen Plattheiten, die wohl einmal die Gemüter mar-
xistischer Politiker und Literaten beschäftigt haben, jedoch offenkundig ohne jeden
Versuch der Vollständigkeit oder systematischer Ordnung. Auch ist nicht erstrebt
worden, sie in den Rahmen der gesamten marxistischen „Weltanschauung" hinein-
zustellen, wie ihn etwa Sombart in der letzten Auflage seines „Proletarischen So-
zialismus", 1925, darstellt. Dr. Schrecklinger bezieht sich leider nur auf die 4. Auf-
lage dieses Werkes vom Jahre 1901. Überhaupt ist seine Sachkenntnis auf diesem Ge-
biet offenbar dürftig, selbst soweit es sich um die marxistische Ästhetik handelt.
Der fachliche Rahmen, in dem eine Untersuchung mit dem Thema einer „marxistisch-
sozialistischen Ästhetik" geführt werden müßte, ist die Kunst — und Literatur
Soziologie, von der Schrecklinger offenbar nichts weiß. Es sei nur auf die Literatur-
angaben zu dem einschlägigen Artikel im Handwörterbuch der Soziologie (heraus-
gegeben von Vierkandt) verwiesen, der überdies den Marxismus ausführlich und
kritisch behandelt. Auch sonst ist der Umkreis der ausgewerteten Literatur mehr
als bescheiden und ohne inneres Auswahlprinzip. In der Darstellungs- und Denkweise
ist irgendeine Systematik nicht zu erkennen und somit ein Anzeichen für eine wirklich
wissenschaftliche Bemühung in keiner Weise merkbar. Der Gedankengang gleitet,
meist auf den Krücken von einigen Undefinierten Begriffen mit der Endung x-ismus
(wenn man überhaupt von Begriffen reden will) richtungslos dahin und überrascht,
indem er zuweilen ganz disparate Gegenstände beliebig zusammenbringt, ohne auch
nur nachträglich einen Versuch der Erklärung zu machen. Mit Gewalt werden Pro-
bleme zusammengezwungen, die schlechterdings nichts miteinander zu tun haben,
sodass die Darstellung zuweilen das Niveau der von ihr kritisierten Autoren erreicht.
So etwa, wenn gefragt wird, ob politisches und künstlerisches Handeln „gleich-
geartet" seien. Die Begriffe vom Politischen und Künstlerischen sind in diesem
ganzen, zwar unklaren, aber thematisch immerhin zentralen Gedankengang der-
maßen vage und banal, daß man nicht glauben möchte, eine Arbeit vor sich zu haben,
die in einer von Anschauung gerade auf diesen Gebieten strotzenden Gegenwart ent-
standen ist. Unmittelbar darauf wird wieder ein heute brennend interessantes Gebiet
gestreift: der innere Zusammenhang der Schicksale der monumentalen Baukunst mit
dem politischen Geschehen. Auch hier können die methodisch völlig unzulänglichen
Mittel des Autors der Frage nicht entfernt gerecht werden. Es bleibt bei Aus-
führungen, die durch Kundgaben im Tagesschrifttum weit übertroffen werden.

Aus der umfassenden Gedankenwelt der deutschen Ästhetik erwähnt (und
kennt?) der Autor nur die Ästhetik von F. Th. Vischer, ohne daß es ersichtlich
würde, wieso gerade dieser Philosoph in die Erörterung marxistischer Kunst-
lehren hineingezogen werden muß. Die Tatsache, daß auch er die derzeitigen Inhalte
der Kunst unzulänglich fand, reicht als Begründung sicherlich nicht aus (vgl. 33),
zumal Schrecklinger Vischers Vorliebe für Historienmalerei seinerseits wieder kri-
tisiert, indem er ausführt: „Vischer scheint, je weiter er in die Vergangenheit zurück-
wandert, diese umso kunstwürdiger und „malerischer" zu finden. Je weniger er in-
folge der wachsenden Zeitspanne, die ihn von dem geschichtlichen Geschehen trennt,
dieses ursächlich zu erkennen vermag, desto geringer wird das Hindernis seiner
wissenschaftlich-kritischen Betrachtung; in der Gegenwart sieht er nur die „unpoeti-
schen" Formen, in denen das Geschehen sich vollzieht, in ferner und grauer Ver-
gangenheit erst vermag er das „Wirken Gottes" zu erkennen. Seine Geschichtsbetrach-
tung ist wider seinen Willen eine mythisierende" (35). Diese Kritik möchte man gern
auf alle historisierende Ästhetik angewandt und in ihren Motiven analysiert sehen.
Dann würde sich auch ein Weg zu einem angemessenen Verständnis des Realismus in
der Kunst und Literatur finden lassen, mit dem sich Schrecklinger in seiner einseitigen
 
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