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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 35.1941

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Hartlaub, Gustav Friedrich: Barocktheater und Barockkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.14214#0140
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BEMERKUNGEN

um das Wunderbare herbeizuzwingen und das Übersinnliche bis zur Sinnestäu-
schung- greifbar zu gestalten. Ob das Laienurteil von der weltlichen Verflachung
der Kirchenkunst, das Wort von den „Tanzsälen Gottes" zurecht besteht, oder ob
sich nicht in der feierlichen und repräsentativen Darstellung des Heiligen das alte
kultische Bedürfnis offenbart, das Mysterium leibhaftig und nah erleben zu dürfen,
bleibe dahingestellt. Die heilige Handlung wird wieder sichtbar und greifbar gespielt.
„Der Altarraum wird zur himmlischen Bühne für das heilige Mysterienspiel des
Meßopfers" (Dagobert Frey).

Bei der wechselseitigen Durchdringung von Theater und bildkünstlerischer Sphäre
ist es nicht leicht, direkte Beeinflussungen nachzuweisen, zumal sich Bühnenkünstler
den universalen Traditionen der Renaissance gemäß mit der gleichen unbefangenen
Handwerksfreude auch als Architekten, Techniker, Maler und Graphiker betätigen.
Wenn der Verfasser daher dazu neigt, selbst auffallende Parallelerscheinungen von
bildender Kunst und Bühnengestaltung eher den Analogien des Zeitstils und der
geistigen Wahlverwandtschaft zuzuschreiben als unmittelbarer Anregung oder gar
Nachahmung, so ist diese Vorsicht nur begrüßenswert. Trotzdem ergibt die formale
Analyse aber gelegentlich Beispiele von derartig überzeugender Ähnlichkeit, daß
von einer Übernahme bühnenbildnerischer Elemente in Architektur und Malerei
gesprochen werden muß. So sind die Zwingertürme Pöppelmann's nicht denkbar
ohne die Anregung der damals in Dresden gezeigten Szenenbilder Giuseppe Galli-
Bibiena's. Gewisse Schöpfungen Bernini's und Fischer von Erlach's zeigen, ganz
abgesehen von der theatralischen Gesamtgesinnung, wie stark die architektonisch
bestimmten Inszenierungen von Oper und Ballett auf die Phantasie der Baukünstler
eingewirkt haben. Daß auch bei Festlichkeiten im Freien errichtete Dekorationen
gelegentlich auf die spätere Realarchitektur Einfluß gewannen, zeigt u. a. das Bei-
spiel vom Platz vor dem königlichen Schloß in Neapel, dessen heutige klassizistische
Kolonnadengänge auf eine anläßlich eines Geburtstags der Infantin 1740 errichtete
Schauarena zurückgehen.

In der Malerei hat vor allem Watteau innige Beziehungen zur Bühnenwelt, aber
die Übersetzung der Szenerie in ihrer räumlichen Bedingtheit in die malerische
Unbegrenztheit und das „wundervoll weiche Sfumato seiner Traumwelten" beweist,
wie wenig gerade dieser völlig vom Zauber des Theaters gebannte Künstler nach-
geahmt und reportiert hat. Bei Watteau zeigt sich übrigens zum ersten Mal ein
dem universalen Lebensgefühl des Barock fremder Zug — der Sinn für das Motiv
„Theater" als atmosphärischer Reiz einer Welt des schönen Scheins, als tragische
Stätte einsamen und verachteten Komödiantentums oder schnell vorbeirauschenden
Ruhms. Der rührige Inszenator und Ausstattungskünstler des 16. und 17. Jahr-
hunderts wird zum Interpreten der Theaterwelt, der nachdenklich schildernd im
Hintergrund bleibt, nun erst zum Zuschauer im modernen Sinne geworden. Über
Lancret, Coypel, Saint-Aubin, über Pesne und seine schon ganz individuelle Auf-
fassung der Schauspielerpersönlichkeiten und „Stars" des friderizianischen Hofs
führt der Weg bis zum klassischen Rollenporträt von Reynolds und Gainsborough.

Wie abhängig das Szenenbild seinerseits von der Gesamtentwicklung der bil-
denden Kunst war, zeigt der erste Teil von Tintelnot's Untersuchung, der den
Wandlungen des Bühnenbilds von der Spätrenaissance bis zum Einbruch des Klas-
sizismus gewidmet ist. Mehr architektonisch als dekorativ, streng konstruiert, fast
„akademisch" korrekt, sind die Inszenierungen im 16. und 17. Jahrhundert völlig
beherrscht von den Errungenschaften der Zentralperspektive, deren Übertragung
auf die flächenhafte Reliefbühne der mittelalterlichen Passionsspiele überhaupt erst
als der Ursprung des tiefenräumlichen Bühnenbildes im modernen Sinne anzusehen
 
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