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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 35.1941

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Wulff, Oskar: Lichtblicke auf plastische Gestaltungswege
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https://doi.org/10.11588/diglit.14214#0142
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BEMERKUNGEN

Abbildungen vor. Daß es nach kurzer Zeit wieder aufgelegt werden muß, beweist,
einem wie tief gefühlten Bedürfnis damit Genüge geleistet wurde. In der Tat ge-
winnen wir damit endlich einen Gesamtüberblick über die Entwicklung der antiken
Marmortechnik. Aber die Bedeutung der Schrift reicht noch darüber hinaus in das
Gebiet der allgemeinen ästhetischen Kunsttheorie, da sie Licht über die den plasti-
schen Gestaltungsweg bestimmende Vorstellungsbildung verbreitet. Sie fordert daher
auch hier aufmerksame Beachtung und weitgehende Auswertung unter diesem Gesichts-
punkt. Da der technische Tatbestand dabei wegweisend mitspricht, nehmen wir am
besten voraus, was der Verf. erst an späterer Stelle über die Werkzeuge der grie-
chischen Steinmetzen und ihre Handhabung ausführt, um dann der chronologischen
Betrachtung der Denkmäler ohne Unterbrechung zu folgen.

Der von scharfen Strichzeichnungen begleitete Überblick läßt erkennen, daß
es dieselben Geräte waren, deren sich auch die neuzeitliche Kunst bis heute bedient,
nur in früher oder später bevorzugter Anwendung der einzelnen. Das wichtigste
war zumal in archaischer Zeit der Spitzmeißel, der in senkrechter Richtung mit
Hilfe des Schlägels gegen den Stein geführt wird, um kleinere oder größere Stücke
von ihm abzusplittern, so daß eine an- und abschwellende rauhe Oberfläche entsteht,
die dann mit Bimsstein und Schmiergel geglättet wurde. Dieses Verfahren verleiht
ihr dank der Erhaltung jedes Kristallkorns einen weichen, stumpfen Schimmer, der
alle echtgriechische Arbeit vorhellenistischer Zeit auszeichnet. Viel sparsameren
Gebrauch macht noch die klassische Skulptur des V. Jahrhunderts von dem schräg-
geführten Flacheisen, und zwar vorzugsweise zu schärferer Abgrenzung aufeinnander
stoßender Flächen, z. B. des Haaransatzes und seiner Innengliederung. Für kleinere
Teilflächen bediente man sich auch des abgerundeten Flacheisens. Allmählich kamen
noch Raspeln zur Glättung und das Zahneisen zur beschleunigten Vorarbeit hinzu.
Ein wichtiges Werkzeug wurde endlich der Bohrer, anfangs hauptsächlich zur
schnelleren Auflockerung des Blockes und Freilegung tiefer liegender Stellen der
Gestalt durch Herausschlagen größerer Stücke desselben mittels des Stock- oder
Spitzhammers. Mit der Bereicherung und Verfeinerung der Faltengebung begann
man schon im V. Jahrhundert ihn in den Faltentiefen auch laufend zu führen, in
hellenistischer und römischer Zeit sogar für die Haarbehandlung. Erst in dieser
Spätzeit kam schließlich an Stelle der Glättung mit Bimsstein die Politur auf.

Die Vertrautheit mit dem technischen Verfahren macht dem Archäologen schon
die Unterscheidung von Fälschungen von echten Bildwerken, selbst bei getreuer
Wiedergabe der Formengebung, leicht, vor allem von archaischen mangels der Spu-
ren der diese beherrschenden Spitzmeißelarbeit. Geradezu als Symbol ihrer Bedeu-
tung für den Bildhauer erblickt man auf einem in New-York (Metropolitan Museum)
befindlichen frühen Weihrelief nur dieses Werkzeug nebst dem zugehörigen Schlägel
(Abb. 16). Weit bedeutsamer aber erscheint die Rolle dieser mühseligen Technik
für unsere Erkenntnis des Gestaltungsweges der griechischen Rundskulptur in ihren
Anfängen.

Die Gunst des Schicksals hat uns aus der Frühzeit eine erhebliche Anzahl in
verschiedenem Zustande unvollendet gebliebener Statuen bewahrt. Dem hohen
VI. Jahrhundert entstammen noch die über 5 m hohe Kolossalfigur eines bärtigen
Gottes, in langer, geschlossener Gewandung und der ebenfalls überlebensgroße Torso
eines nackten Jünglings auf der Insel Naxos (Abb. 2—4 u. 5). Beide Gestalten haben
bereits ihre Gliederung in groben Grundformen erhalten, während die Einzelformen
selbst am Kopf der ersten nur als ungeformte Erhebungen angelegt sind. An einem
3% m hohen schlanken nackten Widderträger von der Insel Thaos (Abb. 6—8) ist die
Formengebung in gleichmäßiger Bearbeitung von allen vier Seiten schon
 
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