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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 35.1941

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Wulff, Oskar: Lichtblicke auf plastische Gestaltungswege
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https://doi.org/10.11588/diglit.14214#0153
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BEMERKUNGEN

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Stabe mit anderen kunstgeschichtlichen Abläufen besonders geeignet. Wollen wir
aber einen vollständigen analogen Stufengang der plastischen Gestaltung nachweisen,
so läßt er sich nur in der abendländischen mittelalterlichen und neuzeitlichen Plastik
durch Zusammenfassung ihrer verschiedenen Kunstkreise, zwischen denen die frü-
rende Rolle wechselt, zur einheitlichen Entwicklung aufzeigen. Tiefgehende Unter-
schiede von der antiken sind dabei nicht zu verkennen. Sie erklären sich weniger
aus rassischen als aus den andersartigen und weltanschaulichen und kulturellen
Voraussetzungen. Trotz alledem finden wir weitgehend übereinstimmende Gestal-
tungsfolgen aus den beiden Wurzeln der Sehform und der Sehvorstellung in Relief-
kunst und Rundplastik wieder. Den wichtigsten Gegensatz zur Antike begründet die
Tatsache, daß die Entwicklung zumal auf den früheren Stufen ihren Hauptvorwurf
nicht an der nackten, sondern an der bekleideten Menschengestalt zu bewältigen
hatte, was mehr zur geschlossenen als zur offen und raumhaften Wirkungsform
drängt, wie ganz ähnlich auch im großen ostasiatischen Kunstkreis, der im übri-
gen hier außer Betracht bleiben muß.

Innerhalb der romanischen Reliefgestaltung, die am leichtesten in der deutschen
Kunst zu übersehen ist, fällt ein früher Anlauf zu selbständiger Reliefbildung im
Bronzeguß auf, die bereits die nahezu vollrunden, aber auch halberhabene Figuren
auf die Grundfläche aufsetzt, was in der griechischen Kunst nur ausnahmsweise vor-
kommt und damit auf moderne Reliefkunst vorausweist. Dieses schon an den Flügeln
der Hildesheimer Bernwardstür völlig entwickelte, auf Vorarbeit in Ton oder Wachs
beruhende Verfahren setzt sich fort an dem dortigen Taufbecken und in vergröbertster
Formengebung und Technik an den Bronzetüren aus der Magdeburger Gießhütte
in Verona (S. Zeno), Nowgorod (Sophienkathedrale) u. a. m. Auch rundplastische
Gebilde, wie die knieenden Becken- und Altarträger, der Gekreuzigte u. a. m. sind
auf deutschem Boden bis ins XII. Jahrhundert anscheinend nur in aufbauender
Technik des Metallgusses geschaffen und in großem Maßstabe wie der Braun-
schweiger Löwe, aber auch in Stein von der Bauplastik nachgebildet worden. Die
vorherrschende Treibarbeit des Kunsthandwerks geht hingegen zwar ebenfalls von
der Grundebene, aber erst vom zeichnerischen Flachrelief aus und steigert es
allmählich zu immer kräftigerem Halbrelief, für das die Schedale des Theophilus
lehrreiche Regeln über die Behandlung der Gestalt und des Kopfes aufstellt, bis
zur Höchststufe am Heribertschrein (Deutz) und in den Arbeiten eines Nicolas von
Verdun. In dem reichen Denkmälerbestande (bequem zu übersehen in der Auswahl
von E. Lühagen, Romanische Plastik in Deutschland, 1923) bevorzugt sie seinem
kirchlichen Sinngehalt gemäß die frontale stehende und sitzende bekleidete, himm-
lische oder heilige Einzelgestalt. Das Steinrelief geht alsbald einen gleichartigen
Gestaltungsweg, von flacher zu kräftigerer, aber nur wenig ausgerundeter Gestal-
tung, z. B. auf den Grabsteinen der Äbtissinnen im Quedlinburger Dom, noch ohne
die vordere Reliefebene (der imaginären Sehform) zu durchbrechen. Auf der Stufe
solchen flächengebundenen Halbreliefs verharren auch die Gestalten der Engel und
der Maria umstehenden Apostel an den Chorschranken von S. Michael in Hildes-
heim sowie die der sitzenden Apostel an denen der Liebfrauenkirche in Halberstadt
und an der Sängerkanzel von Groningen (Berlin), hier sogar schon z. T. in schwa-
cher Schrägansicht. Die Verflachung des Unterkörpers der Sitzfigur ist noch nicht
einmal an der Christusgestalt des Naumburger Reliefs, das Blümel als seltene Probe
teilweise unvollendeter Spitzmeißelarbeit des XIII. Jahrhunderts heranzieht (Abb. 4),
überwunden; was jedoch für seinen Unterkörper kaum zutrifft, sondern nur für die
rechte Nebengestalt des knieenden Johannes, uns aber mit diesem bestätigt, daß
auch das mittelalterliche Steinrelief von der Vorderfläche her zuerst in Zusammen-
 
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