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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 35.1941

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Lossow, Hubertus: Kunstwerk, Künstler und Betracher: Versuch einer idealistischen Theorie des Künstlerischen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14214#0168
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154 HUBERTUS LOSSOW

auf der anderen Seite. Es scheiden sich damit eine historische, auf das
"Zeitgebundene am Kunstwerk eingestellte, und eine abstrakte, auf das
Zeitlose abzielende, Kunstwissenschaft, die freilich, da das Kunstwerk
in der Zeit ist, eng miteinander verknüpft sind. Es ist der Idealfall der
Kunstwissenschaft, wenn es gelingt, beide Arten der Betrachtung mit-
einander zu verknüpfen. Diesen beiden Arten des wissenschaftlichen
Interesses entsprechen auch zwei verschiedene Typen von Wissenschaft-
lern: Dem Materialforscher (und Kenner), der deskriptiv verfährt, dem
eigentlichen Historiker steht der logisch oder psychologisch verfahrende
allgemeine Kunstwissenschaftler gegenüber, der gleichwohl ein Histo-
riker sein kann, dessen Ziel aber nicht das Historische, das hier und
jetzt und in diesem Falle gültige, sondern das Absolute, stets gültige
Künstlerische ist.

Da das Kunstwerk aber nicht nur in der Zeit ist, sondern auch in
seinem Wesensgehalt bestimmt wird durch seine Beziehung zum Men-
schen, der es geschaffen hat und anschaut, so ergibt sich neben der logi-
schen Methode, die sich auf die Erkenntnis des Objektiven am Kunstwerk
richtet, auch die psychologische, die die Beziehungen zwischen Mensch
und Kunstwerk (Kunstschaffen und Kunsterleben) zum Gegenstand ihrer
Untersuchung macht. Keine dieser Verfahrensarten aber ist richtig oder
falsch, und keine kann der anderen entraten, sondern sie sind alle not-
wendig begründet in der Seiensweise des Kunstwerks und daher alle
gemeinsam erst imstande, dem Kunstwerk voll gerecht zu werden. Denn
jede dieser Betrachtungsweisen faßt nur einen Teil des Kunstwerks. Das
überzeitlich gültige Wesen des Kunstwerks kann nur die logische Unter-
suchung voll erkennen und damit dem absolut gültigen Künstlerischen
am Kunstwerk gerecht werden. Die historische Betrachtungsweise sieht
notwendig das Überzeitliche am Kunstwerk im Spiegel der Zeitlichkeit, und
die psychologische Betrachtungsweise wiederum sieht das objektiv gültige
Künstlerische im Spiegel der Seele des Menschen, also subjektiv. Handelt
es sich daher also um ein bestimmtes Werk oder eine Gruppe bestimm-
ter Kunstwerke, so wird diese Betrachtungsweise die weitesten Möglich-
keiten gewähren, handelt es sich aber um das Kunstwerk in allgemeiner
Bedeutung, so kann nur die logische Betrachtungsweise zu objektiv gül-
tigen Ergebnissen gelangen.

Der Versuch, die durch das Kunstwerk als solches aufgegebenen all-
gemeinen Probleme zu lösen, hängt aber auch nach der Trennung der
allgemeinen Kunstwissenschaft von der Philosophie noch engstens mit
der Beantwortung jener erkenntnistheoretischen und metaphysischen
Fragen zusammen, die das Weltbild grundsätzlich bestimmen, weshalb
auch eine völlige und endgültige Trennung der ästhetischen Fragen-
komplexe von der Philosophie unmöglich erscheint. So ist es also für
 
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