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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 35.1941

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Lossow, Hubertus: Kunstwerk, Künstler und Betracher: Versuch einer idealistischen Theorie des Künstlerischen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14214#0184
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HUBERTUS LOSSOW

noch im Betrachter, sondern in der absolut gültigen Idee hat, ist sie
Kunst, nur deshalb ist sie so ehrfurchtgebietend und erhaben, nur des-
halb schulden ihr die Menschen die höchste Achtung14). Wenn das An-
schauen des Kunstwerks eine innere Beglückung in der Seele des Men-
schen auslöst, so ist diese nicht der Zweck des Kunstwerks, sondern eine
sich selbsttätig mit dem Entstehen des Werkes in der Seele des Betrach-
ters einstellende Begleiterscheinung15). Erst der absolute Wert des Kunst-
werkes verbürgt den Anspruch auf Unantastbarkeit und Ehrfurcht, den
jedes Kunstwerk an jeden Menschen stellt, auch an den, der es nicht
versteht. Nur der absolute Wert des Kunstwerks stellt es über die Wer-
tung der täglichen Notwendigkeit des Lebens und macht es zum kost-
barsten Besitz der Menschheit.

So steht also das Kunstwerk, höchste Achtung und Ehrfurcht for-
dernd, neben der Weisheit, als der höchsten Form der Erkenntnis, und
neben der Liebe, als dem höchsten Ausdruck der sittlichen Vollendung.
Es erhält seinen Wert wie diese aus der absoluten Existenz einer letzten
reinen Idee, die in Gott ihren Ursprung hat. Es fordert diese Wertung
als die einzige seiner Seiensweise adäquate, grundsätzlich und ausnahms-
los, als höchster Ausdruck menschlicher Kultur und menschlich-geistigen
Lebens überhaupt, denn im Kunstwerk ist am Material der Geist selber
in der Idee Form geworden in der Erscheinung.

14) Es scheidet sich hier die Kunst im eigentlichen Sinne von dem, was sich
„Kunst" nennt oder so genannt wird, von der Artistik, deren Aufgabe die Unter-
haltung des Publikums ist. Der Trapezkünstler, der Zaubermeister usw. haben nichts
mit Kunst im eigentlichen Sinne zu tun. Ihre Tätigkeit liegt absolut außerhalb des
Bereiches des Künstlerischen, das an sich gültig ist, im Bereiche des Amüsements
und der Unterhaltung.

15) Nicht alle Kunstwerke lösen ein Glücksgefühl in der Seele des Betrachters
aus. Die Tragödie, von der schon Lessing sagte, daß sie Furcht und Mitleid erregen
soll, z. B. ist weit davon entfernt, ein solches Glücksgefühl zu geben, und dennoch
ist sie Kunst.
 
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