Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 35.1941

DOI Artikel:
Wilhelm, Wolfgang: Untersuchung über das Filmerleben, [2]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14214#0186
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
172

WOLFGANG WILHELM

und Umbildung des jugendlich-spielerischen Tuns, das dem Reifenden
vollkommener Ernst ist, in das freie und verinnerlichte Spiel der Vor-
stellungen, worin er mögliche Situationen seines eigenen Lebens voraus-
schaut und einübend meistert.

Außer dem dynamischen Bildwechsel ist es namentlich noch die pro-
filierte und optisch einprägsame Ausdrucksart der Darsteller, durch die
der Film dem Zuschauer ein neues seelisches Bewegungsfeld eröffnet.

„Ich empfinde Erleichterung durch das Mitleben mit der Motorik der Menschen
auf der Leinwand." (Dozentin.)

Auf die Stimmung des Zuschauers wirkt meist auch der gesamte
Rhythmus der Bildfolge auflockernd:

„Ich gehe in passiver Stimmung hin und will aufgelockert werden. Nach der
Vorstellung bin ich in ausgeglichener Stimmung." (Kaufmann.)

Eine starke Auftriebswirkung rührt auch daher, daß der Film in
Handlung und Darstellungsweise das rein Menschliche transparent wer-
den läßt und sich so von der versachlichenden Berufstätigkeit absetzt.
Ein Ingenieur sagt aus:

„Der Film zeigt mir die rein menschlichen Probleme, die über das Fachliche,
Berufliche hinausgehen. Zentren meines Gehirns werden aufgeschlossen, andere ent-
lastet. Ein Berufsmensch ohne Schau des Menschlichen bleibt ein Stümper. Hier
setzt die Bedeutung des Films ein. Nach der Vorstellung eines Films bin ich meist
in sehr gehobener, zufriedener Stimmung, weil mein Weltbild vervollständigt wor-
den ist."

Eine ähnliche Wirkung auf die gedankliche Tätigkeit liegt vor, wenn
ein Student behauptet:

„Ich kann nach dem Film besonders gut arbeiten. Der Film regt mich an. Ich
habe Gedanken."

Hauptsächlich jedoch verdankt der Film die seelischen Auftriebswir-
kungen auf den Zuschauer seiner Lebensunmittelbarkeit. Es gibt kaum
eine künstlerische Ausdrucksweise, die so sehr das Leben selbst sein
kann wie der Film. Um den Einfluß, der von guten Filmen ausstrahlt, in
seiner Eigenart darzulegen, wird in folgender Aussage die Bühnenwir-
kung herangezogen:

„Ich gehe in den Film, um mich von einem schweren Erlebnis zu entfernen.
Der Film ist mehr Leben als das Theater. Im Theater sehe ich ein Kunstwerk, das
irgendwie ausgearbeitet erscheint. Nach einer Filmvorführung dagegen ist mir, als
hätte ich mitten im Leben gestanden." (Hausfrau.)

Sehr anschaulich schildert der Dichter Manfred Hausmann den
Einfluß des Films auf den modernen Menschen an einer Verhaltensbeob-
achtung vor einem Broadwaykino0).

„Wer das Kino betritt, ist müde, abgehetzt, verbraucht, wie sich das für diese

5) Manfred Hausmann, Kleine Liebe zu Amerika, 1935, S. 70.
 
Annotationen