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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 35.1941

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Trunz, Erich: Die Überwindung des Barock in der deutschen Lyrik, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14214#0221
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DIE ÜBERWINDUNG DES BAROCK IN DER DEUTSCHEN LYRIK 207

Vertreib die dicke nacht, die meine seel umgibt,
Die schmertzen-finsternis, die hertz und geist betrübt!
Erquicke mein gemüth und stärcke mein vertrauen!

Gib, daß ich diesen tag in deinem dienst allein
Zubring! und wenn mein end' und jener tag bricht ein,
Daß ich dich, meine sonn! mein licht! mög ewig schauen!

Der heutige Leser ist nach der schönen Schilderung der Morgenland-
schaft geneigt zu erwarten, das ganze Gedicht würde in diesem Sinne
fortfahren. Aber noch für Gryphius gab es das reine Landschaftsgedicht
nicht. Die Natur hat nur Sinn in Bezug auf einen höheren Bereich, als
Emblem. Das Gedicht muß zweiteilig sein. Man muß solche Gedichte
immer als Ganzes sehn und darf die Naturstrophen nicht herauslösen.
Der Gegenstand des Gedichts ist nicht die Natur, auch nicht die Seele,
sondern es ist die magische Beziehung beider Bereiche, also etwas Kos-
mosophisches, was vor allem Anschauen der unmittelbar gegebenen
Natur da ist. Es war etwas Gewaltiges, dieses emblematische Weltbild,
wo alles mit allem zusammenhing, dieses Weltbild des Paracelsus und
Kepler, wo die Naturvorgänge geheime Entsprechungen des Geistigen
waren und die Harmonie der Sphären zusammenklang mit den Ordnun-
gen des Heilswegs und den Lebensgesetzen der Kreatur. Aus dieser Magie
war das Emblem entstanden. Es beherrschte die gesamte Naturauffas-
sung des Barock. Selbst ein so gegenständlich scheinendes Gedicht wie
Gerhardts Sommerlied „Geh' aus, mein Herz, und suche Freud..." führt
nur darum die vielen Dinge aus der Natur an, weil es an sie die allego-
rische Deutung anschließen will: „Gib, daß der Sommer deiner Gnad' /
In meinem Herzen früh und spat / Viel Glaubensfrücht' erziele", und um
alles Irdische nur als Hinweis auf ein schöneres Jenseits zu fassen. Und
weil das Irdische als solches gemeint ist, ist hier auch nicht etwas Ein-
zelnes, sondern das Allgemeine gesehen: Es ist keine erlebte Landschaft,
sondern gewissermaßen die Arche des Noah, von jeder Gattung (ordo)
ein Beispiel (exemplum). Aber es wird nicht mehr jeder Einzelzug alle-
gorisch gedeutet. Das Naturbild beginnt sich zu verselbständigen.

(Schluß folgt.)
 
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