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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 35.1941

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https://doi.org/10.11588/diglit.14214#0223
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BESPRECHUNGEN

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„Irrungen der Komödie" ist der zweite Teil überschrieben, dessen erster Ab-
schnitt „Die romantische Komödie" würdigt. Sie ist vorbereitet durch das Rühr-
stück, wozu auch Lessings Minna von Barnhelm und etwa der Fideliotext gehören.
Kant denkt vom Komischen abschätzig. Neu wertet die Ästhetik der Romantik und
ihrer Komödien. „Den Begriff der romantischen Komödie in seinen Qrundzügen
mit einiger Vollständigkeit zusammenzubringen, ist bisher noch nicht unternommen
worden, da eine Vorstellung vom Vorhandensein dieser Einheit zu fehlen scheint"
(S. 109). Qüttinger unternimmt zu zeigen, daß hier tatsächlich das literarische
Kontinuum während des besten Teiles eines halben Jahrhunderts nachgewiesen wer-
den kann, das von Tieck über Schiller, Brentano, Kleist, Platen, Eichendorff zu
Grabbe, Büchner, Grillparzer und Hebbel reichte und Wirkungen bis in die Gegen-
wart ausstrahlte.

Am Anfang steht eine im Herkömmlichen gründende, bald verlassene satirische
Tendenz im praktischen Dichten wie im theoretischen Darüberdenken. Aber die
Romantiker hatten es jenseits der dramatischen Ironie auf eine völlig neue Art der
Komödie abgesehen. Da sie aber die Gestalt vernichten, sind sie im herkömmlichen
Sinn durchaus komödienfeindlich. Sie denken nach Güttinger synkopisch, indem sie
grundsätzlich Akzentverschiebungen der Bedeutsamkeit vornehmen (S. 127). Statt
der Gemeinschaft wird das Ich vordringlich. Aus den Bedürfnissen des einzelnen
entstand die romantische Komödie für einzelne. Tiecks theatralische Vorlesungen
waren vielleicht der verwirklichte Inbegriff dieser neuen Komödie. Sie ist monolo-
gisch, ihr Lachen zerrissen. Im Gegensatz zu Kant hatte Schiller auch das Komi-
sche der Eigengesetzlichkeit des Kunstwerkes, dem interesselosen Wohlgefallen an
diesem unterworfen. Das treiben die Romantiker wider alle Tradition auf die Spitze
und führen sich selbst in ihren eigenen Erzeugnissen ad absurdum. „Gegenstand der
romantischen Komödie ist der Mensch schlechthin" (S. 161).

Unter Beibehaltung des Begriffes wird das Komische tatsächlich durch das
Humoristische ersetzt. Schlegel spricht mit einer contradictio in adiecto von „trans-
scendentaler Bouffonerie". In der romantischen Kunstlehre hat das Komische An-
hangscharakter. Trotzdem ist die Beachtung der Komödie als eines Höchstwertes
der Romantik von Anfang bis Ende eigen, ohne daß ihr eine wesenhafte Leistung
gelungen wäre. Vorspiel dazu ist das Puppenspiel und seine Hochschätzung (S. 209).
Güttinger zeigt an dem Verhältnis der Romantiker zu des Cervantes Don Quixote
ihre Anschauungen vom Komischen. Statt gestaltig die Wirklichkeit zu meistern,
geraten sie auf der Flucht davor in Phantasterei; die Theorie steht zeitlich und
rangmäßig vor dem Werk.

„Der letzte Grund, warum Lessing und Kleist die Komödie gelang, liegt in
ihrem unbändigen Handlungswillen, dem Willen, die Zeitgenossen zu ihrer Stim-
mung und besonderen Weltanschauung zu erziehen" (S. 243). Mit kurzen Würdi-
gungen Grillparzers und Hebbels rundet sich die sorgfältige Arbeit. — Wie ihren
oft etwas subjektiven Gedankengängen kann man auch manchen sprachlichen Prä-
gungen nicht rückhaltlos zustimmen. Die wenig glückliche Bildung „Makrokomik"
hält man S. 6 ganz gewiß für einen Druckfehler, bis man S. 164 und später über
ihre Absichtlichkeit belehrt wird. „Ressentimentale Naturen" werben wenig für
sich (S. 17); S. 26, Zeile 7 von unten ist gänzlich mißverständlich. Warum ist Güt-
tingers Rückgrat männlich? (S. 114); was ist ein „abgespiesener Träumer"??
Eine „homunkulöse Existenz" ist zweifelsfrei eine literarische Mißgeburt. Abgesehen
von solchen und einigen andern formalen Schönheitsfehlern läßt man sich von den
gediegenen Untersuchungen dankbar unterweisen.

Karlsruhe (Baden). Emil Kast.

Zeitschr. f. Ästhetik H. allg. Kunstwissenschaft XXXV.

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