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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 35.1941

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Trunz, Erich: Die Überwindung des Barock in der deutschen Lyrik, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14214#0244
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ERICH TRUNZ

hatte zum ersten Mal einen festen Kreis von Motiven und Formen der
Liebesaussprache geschaffen. Er wird abgelöst durch den europäischen
Petrarkismus, aus welchem die deutsche Barockdichtung sich entwickelt.
Auch hier herrscht eine Anzahl fester Motive und Formen. Wie im
Kirchenlied wird hier nicht neugeschaffen, sondern nur variiert und ver-
feinert. Damit ist auch der seelische Bereich abgesteckt. Es gibt noch
große tragende Bindungen der Kultur, auch für das Aussprechen der
Liebe. Das persönliche Erleben spricht nur mittelbar durch das allgemein-
gültige Thema. Man will die Geliebte durch das Gedicht ehren und
preisen, sie rhetorisch erheben, aber nicht ihre Besonderheit gestalten.
Man wählte edle Worte, seltene Bilder, erlesene Reime, gleichsam als
legte man ihr ein edles Geschmeide um. Hier konnte das romanische
Barock Schule machen, und seit der Jahrhundertmitte hat Hofmanns-
waldau diese Form zum Gipfelpunkt geführt.

Auff ihre schultern.

Ist dieses schnee? nein, nein, schnee kan nicht flammen führen.

Ist dieses helffenbein? bein weiß nicht weis zu seyn.

Ist hier ein glatter schwan? mehr als der schwanen schein,
Ist weiche woll alhier? wie kan sich wolle rühren?

Ist alabaster hie? er wächst nicht bei Saphiren,

Ist hier ein liljen feld? der acker ist zu rein.

Was bist du endlich doch? weil schnee und helfenbein,
Weil alabaster, schwan und liljen sich verlieren.

Du schaust nun, Lesbie, wie mein geringer mund
Vor deine schultern weiß kein rechtes wort zu finden,
Doch daß ich nicht zu sehr darf häufen meine Sünden,

So macht ein kurtzer reim dir mein gemüthe kund:
Muß Atlas und sein hals sich vor dem himmel biegen,
So müssen götter nur auf deinen schultern liegen.

Das Hauptstilmittel ist hier das Bild und ist zugleich die Häufung,
denn kein Bild scheint zu genügen. Um dieses Sich-nicht-Genugtun-Können
zu unterstreichen, wird jede Bildidee als Frage und sofortige Verneinung
gebracht und hierdurch das gewollt Erregte in die an sich kühl kom-
ponierte Sprache hineingetragen. Die Bildgegenstände sind absichtlich
etwas Erlesenes und Sinnenhaftes: Elfenbein, Alabaster, Lilien... Würde
ein heutiger Leser fragen, was er nun bei diesem Gedicht vor sich sieht,
so müßte er wohl sagen: Nichts. Es ist aber gar nicht das^iel, einen
Hauch von dem Wesen einer Frau einzufangen, sondern das Ziel ist, ihr
zu huldigen. Und eine Huldigung ist das Gedicht. Es wählt ein Motiv,
das es ermöglicht, die Angebetete als den Höhepunkt der Schöpfung dar-
 
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