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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 35.1941

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Wocke, Helmut: Hölderlin im Spiegel deutscher Dichtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.14214#0262
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HELMUT WOCKE

Doch, wenn aufstrahlend im Menschenherzen

sich die Ewigen doch verkünden,

dann schweigt Erdenleid, und der Schmerzen tiefster,

der aus der Liebe weint und das Herz durchzittert,

hebt neu das Antlitz und wandelt in Gold die Stimme.

Dann tritt der Jüngling kühn

aus den Büchern in die Tauwolken,

und sein schlichter Mund,

der im Taggewühl verstummte,

singt sein Lied durch die Jahrtausende.

Zu denen, die kurz vor dem Weltkrieg eine bedeutsame Wandlung in
der Auffassung Hölderlins herbeiführten, gehört Wilhelm Michel, dessen
erstes Buch über den Dichter 1911 erschien und dessen Forschungen
jüngst durch ein umfassendes Werk „Das Leben Friedrich Hölderlins"
(Bremen 1940) ihre Krönung erfuhren. Schon dem Studenten in München
gab 1896 der Künstler Wegrichtung, Kraft in geistiger Not und seelischer
Bedrängnis. Neben dem Bande „Apollon und Dionysos" (1904) zeigen
vor allem die 1906 entstandenen, 1907 in der Sammlung „Der Zuschauer"
gedruckten Verse, wie offen Michel bereits damals für das Vernehmen des
lange Verkannten war. Der junge Verfasser überdenkt „des hohen Geistes
Schicksal", der den Kosmos in sich spiegelte:

Dem Sinn und Sein der Götter war er nah...
Auch den Geschöpfen war er so verwandt,
Den Brüdern aus der alten Mutter Nacht,
Daß es ihm Unrecht schien, den Winter dauern,
Da so viel Blüten schon im Herbst verblichen.

Die Schlußzeilen lauten:

Lehr' er mich fromm sein und das menschenfremde
Gesetz erfüllen, das uns alle drückt.

Durch Norbert v. Hellingrath, der gleichfalls entscheidend in die Höl-
derlin-Forschung eingriff, ward Rilke zu dem Dichter geführt, jedenfalls
zu dem in neuer Sicht geschauten. „Sein Einfluß auf mich ist groß und
großmütig, wie nur der des Reichsten und innerlich Mächtigsten es sein
kann", schreibt Rilke am 24. Juli 19145). Und später spricht er einmal (im
Briefe vom 26. Oktober 1914) von der „sternhaften hohen Gegenwart
Hölderlinscher Worte". Er befand sich damals in einer Zeit der „Wen-
dung", wovon das gleichnamige, am 20. Juni 1914 aus Paris an Lou

6) Vgl. auch Friedrich Beissner, Rilkes Begegnung mit Hölderlin, „Dichtung und
Volkstum", Bd. 37 (1936), S. 36 ff.
 
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