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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 35.1941

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Wocke, Helmut: Hölderlin im Spiegel deutscher Dichtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.14214#0270
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HELMUT WOCKE

Sie sind wie hochaufschäumende Wogen, die dahinrauschen, um alsbald
wieder zu verebben. Stärker jedoch als die Bilder der Phantasie und die
Schreie der Sehnsucht packt die Gewalt des Schicksals, das drohend auf
den letzten Seiten spricht und die Gründe des Seins plötzlich aufleuch-
ten läßt.

Noch in einem weiteren Werk hat Waiblinger den Dichter Hölderlin
gezeichnet, in dem verlorenen Roman „Lord Lilly" (1825). Mörike, dem
die Handschrift vorgelegen hat, berichtet über dieses „greuliche Unding"
in einem Briefe an Hartlaub am 26. Dezember 1841: es „wäre Dir merk-
würdig, wie er sein Tübinger Leben hineinzieht. Mit einer Art von Alte-
ration sähest Du manche bekannte Figur, mehr oder weniger kenntlich,
zuweilen in der grellsten Färbung, gleich einem Schattenspiel an einer
trüben Wand hinschwanken: Den älteren Pfizer, Hölderlin, Julie Michaelis,
die Beckbeckin, den Bauer, Mährlen, mich und meine Schwester Luise...
Verschiedene aus dem Leben und Munde dieser Personen entlehnten Züge,
Handlungen, Späße usw. sind oft sehr ungeschickt verwendet und vieles
bei den Haaren herbeigezogen... Einiges Lustige aus der Beckbeckkei hat
mich durch die Erinnerung doch wieder angelacht; wie ihm denn über-
haupt auch hier und da etwas der Art gelungen ist".

Über der Wirklichkeit erblühende Träume einer reichen, weit schwei-
fenden, fast zügellosen Phantasie sind zumeist die Schilderungen, die Bet-
tina von Arnim in dem Buche „Die Günderode" (1840) von Hölderlin ent-
wirft12). Gleichwohl bergen ihre Ausführungen wundervolle Worte über
das Wesen der dichterischen Sprache und gewähren tiefste Einblicke in
die Seele des Künstlers.

Einen „culturhistorisch-biographischen Roman" in zwei Teilen „Höl-
derlin" veröffentlichte Heribert Rau im Jahre 1862 (Theodor Thomas,
Leipzig). Auf die zeitgeschichtlichen Darstellungen legt er großen Wert;
sie entbehren jedoch der inneren Bildhaftigkeit, die Schilderungen wirken
meist recht umständlich — wie überhaupt das Buch kaum bedeutsame
schriftstellerische Begabung verrät — in einzelnen (zudem überflüssigen)
Abschnitten ist es seicht in der Erfindung und in der Wiedergabe der
Geschehnisse. Im Mittelpunkt steht Hölderlins und Diotimas Seelenbund.
Immer wieder greift der Verfasser auf den „Hyperion" zurück. Ja, bis-
weilen löst er — vor allem in der Unterredung der Liebenden über Grie-
chenland — die Prosadichtung in die Form eines Gespräches auf, über-
sieht jedoch, daß in einem Kunstwerk, das Gestaltung im Geist und durch
den Geist ist, sich die Vorgänge gleichsam auf einer höheren Ebene ab-
spielen als der des Alltags und seiner irdisch tatsächlichen Wirklichkeiten.

12) Vgl. die schönen Worte bei Karl Röttger, Das Buch der Gestirne (Leipzig
1933), S. 320f.
 
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