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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 35.1941

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Wocke, Helmut: Hölderlin im Spiegel deutscher Dichtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.14214#0280
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HELMUT WOCKE

Unsere Ausführungen wollten zeigen, wie ein Schaffender den anderen
sieht, bald aus dieser, bald aus jener Blickrichtung, der Art seines Wesens
entsprechend und nach dem Maß eigener Größe, Weite und Tiefe. Wir
erfahren zudem, wie Hölderlins Werk den Rahmen einer nur literarischen
Würdigung sprengt ■— als waltende Macht gehört er zu den geistigen
Naturkräften, die wirkend an dem Schicksal unseres Volkes weben. Eine
Betrachtung, die von den Tagen des Dichters ausgehend bis in die Gegen-
wart führt, gibt vielleicht auch eine Schilderung von dem Lose des Künst-
lers überhaupt. Ist er nicht allein Gestaltender, sondern zugleich Künder,
der die Fülle der ihn umdrängenden Gesichte im Worte bannt, schaut er
Künftiges als ein Zeitloser, der in der Weltenmitte lebt, von der Musik der
Sphären umrauscht, ins Nichts gestellt, das in Wahrheit die Unendlichkeit
ist, so ist sein Schicksal die Einsamkeit. Er weiß um das Geheimnis —
und darf es nicht nennen. Niemand unter den Lebenden vermag ihm Rat
zu spenden oder Hilfe zu leisten. Seine Sendung ist es, sein Los zu
wollen, jenseits der Menschen, doch verbunden mit dem Geist, der ihn
führt. Er gehört ja nicht sich, sondern allein seinem Dämon. Einmal aber
schlägt auch dem Großen, Verkannten oder in seiner Bedeutung noch
nicht Gewürdigten die Stunde, da sein Schicksal in seiner ganzen Tragik
begriffen wird: als ein Opfer, das willig dargebracht ward im Sinne einer
neuen Zukunft. Der deutschen Wissenschaft blieb es vorbehalten, kurz vor
dem Weltkrieg den Weg zu bahnen für ein wahres Verstehen Hölderlins,
für die Größe, die Schwere und Einmaligkeit seiner Sendung. Was die
Forschung begonnen hatte und in mühevoller Arbeit weiterführte, durf-
ten Dichter vielfach bestätigen und auch vertiefen, aus der Weite ihres
schauenden Erfassens, freilich fast stets an die Art ihres eigenen Künstler-
tums gebunden. Aber sie haben unseren Blick geschärft und unser Auge
immer wieder auf das Geheimnis gelenkt, das im Worte verhüllend zu
offenbaren dem Schöpferischen gegeben ist. Der Betrachtende erkennt die
vielen Widersprüche im Wesen des Künstlers, die eben die Widersprüche
des Lebens sind, doch zugleich sich ergänzen und aufheben in der Vielfalt
und Einheit der weltentiefen, unergründlichen menschlichen Seele.
 
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