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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 35.1941

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https://doi.org/10.11588/diglit.14214#0282
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BESPRECHUNGEN

und den Grundsatz „zu leben wie abgestorben" (41) zur Religion des „Geistes" er-
heben will.

Nun könnte man vielleicht auf den Gedanken verfallen, zu fragen: wie in aller
Welt kommt ein Mensch namens Kierkegaard dazu, sich so vom „Nichts" bedroht
zu fühlen, daß ihm auch „das Ethische", in dem wir doch alles Positive und Lebens-
volle der Menschenwelt zusammenfassen, eine „verschleierte Existenzform des ver-
zweifelten Menschen" wird (26)? Man könnte nach dem Grunde einer so seltsamen
Lebens- und Geistesverfassung fragen, für die sogar „alle Unmittelbarkeit... trotz
ihrer eingebildeten Ruhe und Sicherheit Angst" ist (43), und die von sich sagen
muß, ihre Krankheit sei die Schwermut, sie habe ihren Sitz in der Einbildungskraft
und nähre sich von der — „Möglichkeit" (199). Man könnte mit diesen und mancher-
lei noch wesentlich konkreteren Fragen dem Philosophen Kierkegaard gegenüber-
treten. Man brauchte sich dabei nicht einmal den Vorwurf zuzuziehen, daß man sein
gegenständlich gewordenes Gedankenwerk verkenne, indem man es auf seine Person
beziehe, denn mit dieser seiner Person beschäftigt der Autor sich und seinen Leser
ausgiebig genug. Man würde aber verstoßen gegen das Tabu, das schon bei den
„primitiven" Völkern den geheimnisvoll Kranken umgibt und auf das einen berech-
tigten Anspruch hat, wer so wundervoll unverständliche Dinge zu behaupten weiß
und (in der Liebe z. B.) ein so herrlich widersinniges Verhalten von sich selbst ein-
gehend bezeugt, wie Kierkegaard.

Es muß also anders verfahren werden. Kierkegaard hat Bücher veröffentlicht.
Ziemlich viele sogar. Sie objektivieren Gedankengebilde. Diese muß man auslegen.
Mit wissenschaftlicher, das heißt in diesem Fall: rein objektiver, nie und nirgends
auf die konkrete menschliche Person hinblickender Sachlichkeit. Als Methode bietet
sich glücklicherweise eine gleichsam säkularisierte Form eben dieses Kierkegaard-
schen Philosophierens an, die Heideggersche Philosophie. Es trifft sich günstig, daß
es nicht nur eine „neue philosophische Ära" ist, die mit der „Existenzphilosophie eines
Jaspers und Heidegger bezeichnet wird", sondern daß Kierkegaard selbst, was die
Interpretation wesentlich erleichtert und den terminologischen Sprachschatz bedeu-
tend erweitert, vorausahnend „den deutschen Idealismus mit hinüber" "nimmt in diese
neue Ära (41). Der Interpret kann also je nach Bedarf Heideggerisch oder Schel-
lingsch reden. Das sachliche Ergebnis ist für einen Leser, der sich gern genau
Rechenschaft abgibt über das, was er aus einem (gründlich studierten) Werk gelernt
hat, einigermaßen verwirrend.

Da ist z.B. die Kategorie des „Seins". Kategorie darf der Leser schon nicht
sagen. Denn es „geht", nach Kierkegaard, „nicht an", die „Kategorien für das Seins-
problem in Bewegung zu setzen" (66). Die Motorisierung, die bei den Kategorien
nicht „angeht", trifft hingegen das „Sein" selbst, „denn die Seinsfrage ist... allein
die Frage: wie das Zum-Sein-Kommen möglich ist" (66). Selbst wenn es aber mög-
lich wäre, zum Sein zu kommen, so würde man, angelangt, feststellen müssen, daß
dieses Sein gar kein „Sein" im seit zweitausend Jahren so gemeinten Sinn ist. Es gibt
kein von mir unabhängiges Sein, sondern alles Sein hängt sozusagen an mir (100).
Es gibt nicht nur „kein gegenständlich vorhandenes Sein" (71), sondern der „Sinn
von Sein liegt in der Gegenstandsunfähigkeit von Sein" (72). (Auch die Wirklichkeit
ist „gegenstandsunfähig", 76.) Das Sein ist ein „personales" (245). „Die Idee des
Seins ergibt sich aus der Selbstauffassung des Menschen..." (247), und zwar ist das
menschliche Person-Sein „nur aktualiter, bloß geschehend" (85). „Wahrheit" ist ent-
sprechend nichts anderes, als ein rein Subjektives, „die subjektive Aneignung von
allem Gewußten" (80).
 
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