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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 35.1941

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Wocke, Helmut: Hölderlin im Spiegel deutscher Dichtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.14214#0271
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HÖLDERLIN IM SPIEGEL DEUTSCHER DICHTUNG 257

So kommt ein Zwiespältiges in das Werk, das Tiefe vermissen läßt und
Straffheit im Aufbau. Hölderlins Schicksal nach der Trennung von Dio-
tima erfahren wir nur mittelbar: Sinclair begibt sich nach Nürtingen, in
der Hoffnung, dort Näheres über den Freund zu hören, von dem er seit
langem ohne Nachricht ist. Bekannten, denen er begegnet, erzählt er auf
der Reise von dem Dichter und Susette Gontard. Während er in Nürtingen
mit Hölderlins Angehörigen im Garten sitzt, erscheint ein „Bettler", in
zerrissener Kleidung, das Antlitz von Sorge und Elend durchfurcht, das
Haar wirr in der Stirne... es ist der von der Krankheit geschlagene Dich-
ter. Über dessen letzte Zeit berichtet der Schlußabschnitt. Das Buch zeugt
von Verehrung für Hölderlin — es ist getragen von dem edlen Willen,
„das Bild eines unserer begabtesten, wenn auch früh untergegangenen
Dichter der deutschen Nation näher zu führen" (Bd. 1, S. IV).

In Hölderlins Jugendzeit versetzt uns die ansprechende Erzählung von
Carl Müller-Rastatt „In die Nacht!" (Eugen Diederichs, Florenz und
Leipzig 1898). Der Verfasser, bekannt durch eine verdienstvolle Biogra-
phie des Dichters, die auch Teile des handschriftlichen Nachlasses erst-
malig erschloß (1894), schildert Hölderlin während seines Aufenthaltes in
Maulbronn, im besonderen seine Liebe zu Luise Nast. Er stützt sich auf
Verse jener Jahre und vor allem auf Briefe, deutet feinsinnig die Quellen,
sie zugleich ausmalend und Wahrheit und Dichtung miteinander ver-
schmelzend. Die Sprache ist schlicht und voll innerer Wärme. Die Novelle
verrät seelisches Verstehen und will dartun, wie das schwere Schicksal des
Künstlers von früh auf im Wesen seiner Natur begründet war. Nur gegen
Einzelheiten im letzten Kapitel, das von einem Besuch der Jugendgeliebten
bei dem Kranken in Tübingen erzählt, wird man Bedenken nicht unter-
drücken können. Schön ist das Schlußbild: der Unglückliche am Fenster
des Turmzimmers in die anbrechende Dämmerung blickend, „der rauhen
Welt und ihren Kümmernissen entrückt... Still und vertrauensvoll. Ein
verirrtes Kind, das sich endlich zur Mutter heimfand."

„Susette", so heißt die Erzählung, die Leopold Gustav (= L. G. Ober-
länder) 1896 veröffentlichte (Kesselring, Leipzig und Frankfurt a. M.) —
im Mittelpunkt steht in Wahrheit Hölderlin, und der Untertitel „Histo-
rische Novelle" ist allzu anspruchsvoll. Der Verfasser stützt sich zumeist
auf Carl Jügels Mitteilungen, diese weiter ausspinnend und am Schluß frei
mit der Zeit schaltend: Diotima ist nicht alsbald nach der Trennung von
dem Dichter, sondern 1802 tödlich erkrankt. Die Schilderung ist knapp,
freilich auch flach und ohne tieferes Verstehen und erhebt sich nirgends
zu künstlerischer Gestaltung.

Das Diotima-Erlebnis würdigt Maria Schneider als das Eigentliche,
das Entscheidende in „Hölderlins Schicksalsweg" (Silberburg, Stuttgart
1938). Ließ ihn aber die Trennung wirklich dahinsiechen „wie an der

Zeitschr, f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft XXXV.

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