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Zeitschrift für christliche Kunst — 18.1905

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Falke, Otto von: Meister Nicolaus von Verdun und der Dreikönigenschrein im Kölner Domschatz
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https://doi.org/10.11588/diglit.4575#0097

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163

1905. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 6.

164

auf die Frage nach dem Plastiker des Dom-
schreins erbringen, so ist damit zugleich die
Anonymität des dritten Führers im
Pantaleonsbetrieb gelöst. Denn es
wird sich aus der nachfolgenden Darstellung
ergeben, daß der Verfertiger der Silberfiguren
identisch ist mit dem Träger jenes neuen
Emailstils und jener Emailtechnik, welche —
in Köln zuerst 1183 auftretend — die Werke
des Annoschreinsmeisters kennzeichnen und von
den älteren Kölner Denkmälern unterscheiden.

Es wäre naturgemäß das Nächstliegende,
den unbekannten Meister in dem vorher ge-
nannten Kölner Künstlerkreis aus dem Panta-
leonsbetrieb zu suchen. Da aber stellt sich
alsbald die absolute Unmöglichkeit heraus,
innerhalb der Arbeitzeit des Domschreines die
Figuren der Propheten und Apostel in die köl-
nische Goldschmiedekunst und Plastik einzu-
ordnen. Es ist allerdings nur ein sehr kleiner,
durch den Zahn der Zeit arg benagter Denk-
mälervorrat übrig, der uns ein Bild der ein-
heimischen Metallplastik in Köln während der
zweiten Hälfte des XII. Jahrh. verschaffen kann.
Denn außer dem Domschrein haben alle Kölner
Reliquiensarkophage, der Ursulaschrein und
das gleichzeitige Antependium im Kölner
Kunstgewerbemuseum, die Schreine der Heili-
gen Maurinus (nach 1180 vollendet), Anno
(1183), Albinus (1186), Innocentius und Mau-
ritius, Benignus (die letzteren aus dem Ende
des XII. Jahrh.) in schlimmen Zeiten ihren
plastischen Schmuck verloren, soweit er aus
Silber hergestellt war. Besser steht es mit den
Werken der Aachener Schule, dem Karlschrein,
Marienschrein, Elisabethschrein und dem Re-
maclusschrein, die aber alle bereits dem XIII.
Jahrh. angehören. Ich werde auf diese zurück-
kommen.

Die großen Kölner Steinskulpturen dieser
Zeit4) bieten bei der Verschiedenheit des Maß-
stabes und des Werkstoffes ein nur wenig
brauchbares Material zum Vergleich mit den
aus Edelmetall getriebenen Figuren kleinen
Umfanges. Sie können nur dazu dienen, das
Bild einer gewissen Rückständigkeit, eines noch
streng gebundenen Stils in der einheimischen
Skulptur Kölns zu verstärken.5)

4) Der ganze, sehr geringe Denkmälerbestand ist
zusammengestellt von Clemen a. a O. S. 3.

5) vgl. Bode, »Geschichte der deutschen Plastik«,
S. 33.

Denn ein solches Bild tritt unverkennbar zu-
tage aus den plastischen Metallarbeiten, die
mit wirklicher Beweiskraft herangezogen werden
können. Als solche betrachte ich die Relief-
platten in den Dächern des Maurinusschreins
und des Albinusschreins, die beide für den
eigenen Besitz des Klosters S. Pantaleon ange-
fertigt und dann in die Marienkirche in der
Schnurgasse übergegangen sind.6) Diese Reliefs
sind zwar aus Kupfer getrieben und vergoldet
und deshalb sind sie uns erhalten geblieben; es
ist aber bekannt, daß zwischen Treibarbeiten
in Kupfer und solchen in Silber im Werkstoff
bedingte Stilunterschiede nicht vorhanden sind.
Das ist hier sicherlich erst recht nicht der
Fall gewesen, weil die vergoldeten Kupfer-
reliefs des Daches mit den ehemaligen ver-
goldeten Silberfiguren an den Seiten der
Schreine zu einheitlicher Wirkung zusammen-
gehen mußten. (Abb. 1.)

Die Herstellung der Relieftafeln fällt in die
Jahre von 1180—1190 etwa, also in die Zeit,
in der eben dieselbe Werkstatt den Dreiköni-
genschrein bereits begonnen hatte und in der
nach meiner später zu entwickelnden Ansicht
auch die Figuren der Apostel und Propheten
schon in Arbeit sein mußten. Und trotzdem,
welch himmelweiter Abstand trennt die zeitlich
und örtlich so eng verbundenen Arbeiten von-
einander! Die kölnischen Reliefbilder zeigen
von einer Individualisierung der Köpfe oder
von einem lebendigen Ausdruck noch keine
Spur; die Henkersknechte, die auf den Tafeln
des Maurinusschreins die Heiligen rösten, steini-
gen, kreuzigen und schinden, tragen ebenso
gleichgültig wohlwollende Züge zur Schau, wie
die leidenden Märtyrer selbst. Die Falten-
behandlung der Gewänder ist nicht unbeholfen,
aber ganz konventionell und im Vergleich zu
den Domfiguren als primitiv zu bezeichnen;
es fehlte nicht nur das Können, es fehlte auch
die Absicht, so kunstvoll gegliederte und ver-
schlungene und dabei doch natürlich fließende
Faltenlagen zu schaffen, wie sie die Figuren
am Dreikönigenschrein auszeichnen. Deren Ver-
fertiger hatte unverkennbar das Bestreben —
und auch das Können dazu — durch den
prachtvollen Fluß und die reiche Faltung der
Gewänder die Würde seiner Gestalten zu er-

6) Die Reliefs des Maurinusschreins und das Dach
des Albinusschreins sind abgebildet in den »Deutschen
Schmelzarbeiten des Mittelalters« T. 48 u. 53.
 
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