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Zeitschrift für christliche Kunst — 18.1905

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Falke, Otto von: Meister Nicolaus von Verdun und der Dreikönigenschrein im Kölner Domschatz
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https://doi.org/10.11588/diglit.4575#0102

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173

!905. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 6.

174

Schmelzkunst nur durch das Eingreifen des
Meisters Nicolaus, dessen Werke bis dahin die
alleinigen Vertreter der neuen Technik und
Ornamentik waren, hervorgerufen sein kann.
Die natürliche Voraussetzung dieses Vorganges
'st ein längerer, auf den Abschluß der Tätig-
keit in Österreich ziemlich unmittelbar folgen-
der Aufenthalt des Verduner Künstlers in Köln.
Ist es nun wahrscheinlich, daß die Kölner
Kunstwerkstatt von dem fremden Künstler nichts
anderes übernahm als das, was man als seine
Schulkenntnisse bezeichnen kann, eine verän-
derte Technik und

Ornamentik des rein m .

dekorativen Schmelz-
werks, das an den
monumentalen Wer-
ken, welche sie in
jenen Jahren nach
1181 in Arbeit hatte,
doch nur eine unter-
geordnete Rolle
spielte? Hatte man
auf einem Gebiet, das
in anderer Form die
Werkstatt selbst mit
vollendeter Meister-
schaft beherrschte,
seine Belehrung und
unmittelbare Hilfe
nicht verschmäht, um
wieviel dringender
mußte der Wunsch
sein, auch die stärk-
ste und persönlich-
ste Seite seiner Kunst,
in der Nicolaus allen Fachgenossen seiner Zeit
unendlich überlegen war, sich zu Nutze zu
machen, wenigstens für die anspruchsvollste
aller Aufgaben, die der Werkstatt oblagen, für
den Riesenschrein der Dreikönige.

Die überlegene Stärke des Verduner Mei-
sters liegt ohne Frage in seiner Darstellung der
menschlichen Gestalt. Die Kraft des Ausdrucks,
die — zuweilen übertriebene — Energie der
Bewegungen und vor allem die oft klassische
Schönheit der Gewandung, des Faltenwurfs,
alle diese Vorzüge sind oft genug gerühmt
worden und die Drexlerschen Tafeln bringen
sie erneut vor aller Augen.19)

Abb. 4. Vom Marienschrein in Tournai

19) Es ist zu beachten, daß außer den sechs
Bildern Tafel 22—24, 28—30 auch eine Reihe von

Derselbe künstlerische Abstand, den
wir zwischen den getriebenen Figuren des Dom-
schreines und den kölnischen Treibarbeiten am
Maurinusschrein und Albinusschrein beobachtet
haben, besteht in gleicher Art zwischen den
figürlichen Schmelzbildern des Klosterneuburger
Altars und den emaillierten Figuren des Erz-
engels Michael und des Cherubims von Fride-
ricus am Maurinusschrein. Die letzteren sind
die höchsten Leistungen kölnischer Schmelz-
kunst; aber man braucht nur die Gewandbe-
handlung des Erzengels Michael mit der unter

dem Kreuze trauern-
den Maria des Mei-
sters Nicolaus, der
schönsten Gestalt des
Klosterneuburger Al-
tars (Drexler.Taf. 26)
zu vergleichen, um
die Größe des Unter-
schiedes zu ermessen.
Er beruht nur in der
Persönlichkeit der
Verfertiger, nicht in
der Zeit, denn die
Platten desFridericus
und der Altar des
Nicolaus sind gleich-
zeitig entstanden.

Da nun die Vor-
züge der silbernen
Domfiguren vor der
kölnischen Metall-
plastik eben diesel-
ben sind, wie die der
Schmelzbilder des
Nicolaus vor den kölnischen Schmelzbildern
die ausdrucksvollen Köpfe, die lebendige Hal-
tung, die freie Schönheit der Falten, so drängt
sich der Schluß auf, daß auch die Ursache
der Überlegenheit der ersteren wiederum die-
selbe ist, also die Persönlichkeit des
Künstlers.

Es ist nun entschieden mißlich, die gemein-
same Autorschaft des Meisters Nicolaus nach-
weisen zu wollen durch den Vergleich flacher,
gravierter Schmelzbilder mit doppelt so großen,
fast vollrund getriebenen plastischen Figuren.
Es wird hier noch erschwert dadurch, daß die
letzteren nicht wie die Figuren der Altarbilder

Zwickelplatten bei der Reparatur des Altars von 1329
von dem Wiener Goldschmied zugefügt worden sind.
 
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