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Zeitschrift für christliche Kunst — 18.1905

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Falke, Otto von: Meister Nicolaus von Verdun und der Dreikönigenschrein im Kölner Domschatz
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https://doi.org/10.11588/diglit.4575#0106

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181

1905. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 6.

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Haltung, die Köpfe schwer und ausdruckslos;
die Gewandfalten wenig gegliedert, bei den
Gestalten Ottos IV. und des Engels in der
Taufgruppe völlig primitiv. Offenbar lag hier
die Arbeit in Händen rein kölnischer Schulung,
die nicht mehr imstande waren, aus den Werken
•des Magisters Nicolaus irgendwelchen Nutzen
zu ziehen. Wesentlich besser ist auf der Vorder-
seite der thronende Christus und diesem un-
gefähr gleichstehend sind alle Figuren der Rück-
seite. Unverkennbar ist das Bestreben, den
Vorbildern an der Langseite des Schreines
nahe zu kommen; am besten glückte es mit
der Haltung und Gewandung des thronenden
Erlösers und mit dem gut durchgearbeiteten
Kopf des Propheten Jeremias, der als Mittel-
figur der Rückseite zwischen die Geißelung und
die Kreuzigung eingestellt ist, obwohl auch die
Prophetenreihe der Langseiten des Jeremias
nicht entbehrt. Im übrigen reichte die Kunst
der Schüler nicht an den Meister heran; es
ist beachtenswert, daß am Johannes unter dem
Kreuz, dem Jeremias und dem links stehenden
Juden der Geißelung der Hals in keiner Weise
vom Gewandsaum abgesetzt ist, so daß die
nackte Haut ohne Trennungslinie in die Falten
übergeht, ein auffälliges Kennzeichen minderen
Könnens.

Die Propheten und Apostel des Dreikönigen-
schreins sind auch für sich allein bedeutend
genug, um das Bild der Wirksamkeit eines Künst-
lers, den man ohne Einschränkung als den größ-
ten Goldschmied des XII. Jahrh. bezeichnen
darf, wesentlich zu vervollständigen. Für die Ge-
schichte der kölnischen Kunst ist der Tätigkeit
des Meisters Nicolaus das Ergebnis zu ent-
nehmen, daß die überlegene und fortgeschrit-
tenere Kunst des lothringischen Maastals nach
1181 zum zweiten Male fördernd eingegriffen
hat. Es ist sehr wohl möglich, daß auch der
mit dem Annoschrein zuerst auftauchende neue
Typus des Reliquienschreins, den die Kleeblatt-
bogen auf Doppelsäulen kennzeichnen und der
bis zum gotischen Suitbertschrein vorhält,
auf den Verduner Meister zurückgeht, denn
dieses architektonische System ist am Kloster-
neuburger Altar vorgebildet und in Tournai
-wiederholt.

Wenn man erwägt, daß demnach von den
kölnischen Denkmälern aus den letzten zwei

Jahrzehnten vor 1200 wenigstens drei große
Werke, der Annoschrein, der Albinusschrein
und der Domschrein, teils im Email, teils in
der Plastik, die Kennzeichen der Tätigkeit des
Nicolaus von Verdun aufweisen, so drängt sich
schließlich die Frage auf: Ist diese unter der
Leitung des Verduner Meisters entstandene
Denkmälergruppe überhaupt noch in der alten
Werkstatt von S. Pantaleon ausgeführt worden,
oder hat Nicolaus, wie zwei Jahrzehnte früher
Godefroid de Ciaire, seine eigene, selbständige
Werkstatt in Köln aufgetan?

Ich muß das Letztere verneinen. Denn
trotz des entschiedenen Stilwechsels, den das
Auftreten des Lothringers in Köln um 1183
hervorruft, bleiben doch die eben genannten
Werke der neuen Richtung noch durch zahl-
reiche Fäden mit der älteren Kölner Fridericus-
gruppe '.Ursulaschrein, Maurinusschrein), aufs
engste verknüpft. Es ist hier nicht der Platz,
das im Einzelnen auszuführen; es genügt, darauf
hinzuweisen, daß die Rückseite des von Fride-
ricus unfertig hinterlassenen Maurinusschreins
vollendet worden ist im Stil des Nicolaus von
einem seiner Mitarbeiter am Domschrein, wäh-
rend an letzterem wieder noch Schmelzplatten
von der Hand des Fridericus vorkommen.
Ferner ist am Albinusschrein das Email ver-
dunisch, die Plastik aber, d. h. die Reliefs des
Daches, sind noch rein kölnisch, ebenso wie
die Goldfiguren des Dreikönigenschreins. Ganz
auffällig zeigt sich das Zusammenarbeiten der
kölnischen und der Verduner Schule an den
gegossenen Giebelbekrönungen der beiden
Schmalseiten des Albinusschreins (»Deutsche
Schmelzwerke« T. 54): auf der Vorderseite die
reichen, plastischen und von Drachen durch-
zogenen Ranken des französischen Stils, auf
der Rückseite die flache Behandlung und das
typische Ornament des Meisters Fridericus. Das
ist nur durch den Fortbestand der alten Werk-
statt zu erklären, deren Hilfskräfte Meister
Nicolaus weiter beschäftigte, als er in die durch
den Tod des Fridericus gerissene Lücke als
leitender Künstler einsprang. Die selbständige
Bedeutung freilich hat der Pantaleonsbetrieb
verloren, sobald er der überlegenen Kunst des
Lothringers Aufnahme gewährte.

Köln. 0tt0 v- Falke-
 
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