Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für christliche Kunst — 18.1905

DOI article:
Falke, Otto von: Meister Nicolaus von Verdun und der Dreikönigenschrein im Kölner Domschatz
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4575#0105

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
179

1905. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 6.

180

wie am Schrein in Tournai die Zwickel der
Bogenstellungen mit Halbfiguren ausgefüllt.
Auch am Domschrein (ebenso wie am Anno-
schrein) sind solche, vorher in der Kölner
Goldschmiedekunst nicht gebräuchliche, Zwickel-
büsten angebracht und zwar zwischen den
Rundbogen, unter welchen die Apostel thronen.
Von diesen Frauenbrustbildern sind mehrere
im XVIII. Jahrh. ergänzt worden; einige aber
sind noch ursprünglich und diese geben uns
genau denselben, eigentümlichen Frauentypus
mit den schweren Augenlidern und dem
kugeligen Kinn, wie wir ihn in flacher Zeich-
nung in Klosterneuburg, plastisch in Tour-
nai sehen können. Hier haben wir an einem
datierten Denkmal der ersten Jahre des XIII.
Jahrh., das also ganz unmittelbar dem Drei-
königenschrein sich anschließt, alles das, was
wir sonst in dieser Zeit vergeblich suchen:
denselben fortgeschrittenen Stil, dieselbe Kunst
der Draperie, der lebensvollen Bildung der
menschlichen Gestalt.

Eine männliche Figur des Marienschreins
ist sitzend dargestellt, der Christus auf der rück-
wärtigen Schmalseite. Sie mag uns als Schluß-
stein dienen für den Beweis der Autorschaft
des Meisters Nicolaus an den Kölner Figuren;
denn man wird zugeben müssen, wenn man
sich diese thronende Gestalt eingereiht denkt
in die Apostel und Propheten, so würde es
schwer sein nachzuweisen, daß sie nicht als zu-
gehöriges Glied mit ihnen geschaffen worden ist.
(Abb. 5 u. 6.)21)

Bei der Beweiskraft der stilistischen Ver-
wandtschaft der plastischen Werke und der aus
der Entwicklung der Schmelzkunst gezogenen
Gründe kann ich mich an den Umstand nicht
stoßen, daß eine Klosterwerkstatt, wie die von
St. Pantaleon ihrer ganzen Geschichte nach ge-
wesen sein muß, einen Laienkünstler in ihrem
Betrieb beschäftigt hat. Warum sie es tat, wird
ja durch die Überlegenheit des Verduner Mei-
sters ohne weiteres aufgeklärt; auch mag der
Umstand, daß eben damals nach 1180 der bis-
herige Leiter des Pantaleonsbetriebes, Fridericus,

2l) Es ist beim Vergleich sehr zu beachten, daß
die Abbildung 6 nach einer, leider sehr schwachen,
Photographie hergestellt ist, welche die Christusfigur
und die beiden Engel vor der Wiederherstel-
lung des Tournaier Schreines wiedergibt; beide
Arme und Hände Christi, sowie die Faltenlage quer
über den Leib sind höchst unvollkommen aus Gips
ergänzt.

vom Schauplatz abgetreten ist, ein Anlaß ge-
wesen sein, den bewährten Lothringer Meister
zu berufen und in Köln festzuhalten. Daß es
Analogien gab, noch in viel späterer Zeit, zeigt
die Geschichte des gotischen Gertrudenschreins
von Nivelles, dessen Ausführung zwei weltlichen
Goldschmieden unter Leitung eines geistlichen
Goldschmieds, Klosterbruders von Anchin über-
tragen war.22)

Bisher ist nur von den Propheten und
Aposteln des Domschreines die Rede ge-
wesen; er besitzt aber auch an seinen Fron-
ten noch eine reiche plastische Ausstattung.28)
Für diese gilt das vorher Gesagte nicht, denn
keine der getriebenen Frontfiguren trägt die
Kennzeichen der Meisterhand des Nicolaus
von Verdun.

Möglich ist es wohl, daß er am Entwurf,
an der Anordnung der Skulpturen auf den
Stirnseiten des Schreins noch mitgewirkt hat.
Denn hier zuerst begegnen wir zusammenhän-
genden Gruppenbildern, der durch die Figur
Otto IV. erweiterten Anbetung der Könige,
der Taufe Christi im Jordan, der Geißelung
Christi und der Kreuzigung. Die oberen Felder
des Mittelschiffes haben vorne den zwischen zwei
Engeln thronenden Heiland, hinten die von
Christus gesegneten Heiligen Felix und Nabor auf-
genommen. Je drei nebeneinander gestellte Fi-
guren, wie die letztgenannten Giebelgruppen,
waren auch auf den älteren Kölner Schreinen
für die Stirnseiten üblich; aber geschlossene
biblische Vorgänge im getriebenen Skulpturen-
schmuck der Reliquienschreine — abgesehen
von den flachen Reliefbildern der Dachfüllun-
gen — kannte die kölnische Kunstübung vor
dem Eingreifen des Meisters Nicolaus noch
nicht. Da der Marienschrein in Tournai neben
dem thronenden Christus zwischen Engeln nur
solche biblischen Szenen aufweist, mag die An-
regung zu dieser Neuerung dem Verduner
Künstler zu verdanken sein.

Mit der Ausführung aber hat er nichts mehr
zu tun gehabt. Die zwei Gruppen, deren Motiv
in Tournai wiederkehrt, die Anbetung der
hl. drei Könige und die Taufe Christi, sind
von der Art des Nicolaus am allerweitesten
entfernt. Die Figuren sind unsicher in ihrer

»») Vgl. Clemen, a. a. O., S. 22, und Molinier,
»L'Orfevrerie« S. 203.

23) »Deutsche Schmelzarbeiten«, T. 62 und 63.
 
Annotationen