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Zeitschrift für christliche Kunst — 18.1905

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Cremer, Franz Gerhard: Ein Rückblick auf die "moderne Kunst", [5]: in der internationalen Kunstausstellung zu Düsseldorf 1904
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https://doi.org/10.11588/diglit.4575#0120

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1905. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 7.

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jede Ausartung und um schon jede hieraus
hervorgehende Gewöhnung an schlechte Formen
zu verhüten, wie wir auch bei Friedr. Cra-
me r: »Geschichte der Erziehung und des Unter-
richts im Altertume«, (Elberfeld, 1838), Bd. II,
S. 379 lesen.

So erklärt es sich, daß wir nirgendwo in
der hellenischen Kunst beengendem Zwange,
der uns verletzen könnte, wohl aber fortreißen-
der Begeisterung bei Künstlern und Volk be-
gegnen. Denn vom hohen Götterideal herab
bis zum letzten der atmenden Wesen fand
alles und jedes — ja bis hin zur kleinen Zi-
kade,47) der einsatnkeitliebenden Grille, der
Musen und Nymphen Geleiterin,47a) — künstleri-
sche Verwertung; hier schuf im Geiste Piatos
die Kunst Gebilde, die, wie sie durch Geist
und technische Vollendung ausgezeichnet, einer-
seits den darstellenden Künstlern zur Ehre ge-
reichten, so andererseits wiederum der Dichter
Ruhm wurden.

Darum ist ,Ordnung' in der freien Kunst
nicht etwa Hemmung des künstlerischen Fluges,
sondern Göttergunst und Götterwille!

Sehen wir deshalb einmal näher zu, oder
suchen wir zu vernehmen, wie es die Alten
gemacht haben, deren unschätzbare, die
Götter ehrenden Werke der Hallen und
Prunkräume unserer Großen unentbehrliche
Zierde geworden, die der Museen aller ge-
bildeten Nationen Stolz und Schmuck sind
und die in den Sälen und Korridoren un-
serer Akademien zu fortgesetztem Gedenken
und unablässigem Studium Aufstellung gefun-
den haben. Denn ,Kampf und Sieg unter Zeus'
Obhut', das war der Grundgedanke, welcher
in der künstlerischen Ausstattung des Tempels
zu Olympia, sagte in seiner Rede am 10. Ja-
nuar 1852 im wissenschaftlichen Verein Ernst

*') Man erinnere sich hierfür nur der trefflichen
Epigramme der Griech. Anthologie.

41a) Hier wollen wir, mit dem Grafen Stolberg zu
sprechen, der Reizung nicht widerstehen und an das
Liedchen von Anakreon: »An eine Grillec erinnern:
„Selig preis' ich dich Cicade,

Wirst geehret von den Menschen,
Als des Sommers süßer Bote.
Und es lieben dich die Musen,
Ja es liebet (t>oißo$ selbst dich,
Der dir gab die hellen Töne

(Bd II, S. 235 des auf der Schlußseite benannten

Werkes.) —

Curtius, lebendig hervortrat. Und in Betrach-
tung des Phidias'schen Werkes schließt der
Genannte mit dem Worte: „So hatte die Kunst
ihr ganzes Füllhorn erfinderischer Pracht über
den Thron ausgeschüttet, auf daß er würdig
werde, den Fürsten der Götter zu tragen". —
Von dem Bilde selbst, dessen erhabener Schöne
wir schon gedacht, in dem der Hellene den
Zeus gegenwärtig schaute und das vor dem
Tode nicht erblickt zu haben beinahe als
ein solches Unglück betrachtet wurde, wie
in die Mysterien uneingeweiht zu sterben,48)
von diesem Bilde sagt Philippos von Thessa-
lonike:

„Nieder zur Erd' ist gekommen der Gott, sein
Bild dir zu zeigen,
Pheidias, oder du selbst gingest zu sehen
den Gott."
(Griech. Anthol., Bd. VII, XXXI.)
Treffend charakterisiert auch Julius Braun
die Götterideale bei Besprechung des aufMelos
gefundenen Venusbildes: „. . . Es gilt einen
Leib, der wie die Rumpfe aus den Giebelfeldern
des Parthenon über menschliche Schwäche er-
haben und mit wunderbarer Lebenskraft zur
Unsterblichkeit ausgestattet ist. . . . Diese
Göttin . . . der Menschheit entrückt . . . be-
merkt gar nicht, daß es Menschen gibt, ... sie
sieht nur sich selbst und die gebieterische Kraft
ihres unvergänglichen Leibes. . . . Wer dieses
Meisterwerk geschaffen, wissen wir nicht . . .
überzeugender als alles ist der unverkennbare
Geist des Phidias in der Großheit und sicheren
Klarheit der Figur. Während später jenes Welt-
wunder des Praxiteles den sinnlichen Reiz
durch einen gewissen Schleier der Unschuld
wirken läßt und die berühmtesten Werke seiner
Nacheiferer noch gröbere Motive wählen, haben
wir hier noch ein Werk, das beides verschmäht

— eine wahrhaftige Göttin". (»Gesch. d. Kunst
in ihrem Entwicklungsgang etc.« IL Bd., 2. Aufl.

— Wiesbaden, 1873 — S. 596 u. w.) Und was
selbst diesen großen Werken als Besonderes
angehört, was den besten Werken der Hellenen
jenen Zauber, das Unwiderstehliche gab, das
war die Grazie. Treffend drückt dies in einem
Epigramm ein Unbekannter aus:

„Drei sind Chariten es; doch du, zu den Dreien
die Eine,
Wurdest geboren, damit Charis den Chariten
sei."
(Griech. Anthol., Bd. IX, LXXV.)

«) K. O. Müller »Handbuch der Archäologie der
Kunst« (Breslau, 1835), S. 100.
 
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