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Zeitschrift für christliche Kunst — 18.1905

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Cremer, Franz Gerhard: Ein Rückblick auf die "moderne Kunst", [5]: in der internationalen Kunstausstellung zu Düsseldorf 1904
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https://doi.org/10.11588/diglit.4575#0122

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211

1905. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 7.

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wähnten Bildgattung hinwiederum Liebreiz und
Anmut, welche mit der gleichsam fast zur Be-
grüßung forttäuschenden Ähnlichkeit um den
Vorzug ringen. Jene Bilder aber, welche uns
Szenen des gewöhnlichen Lebens zeigen und
unser Heim heimisch zu machen bestimmt sind,
dienten im Altertume wahrhaft ihrem Zwecke.
Auch sie sind tadellos in ihrer Vollendung und
dazu in einer Weise durchgeistigt, daß es beim
Beschauer nicht etwa nur bei flüchtigem Be-
sehen blieb, sondern zu einem Durchleben der
Szene führte. Deshalb wird es bei der Bedeu-
tung und dem Umfange der heutigen Genre-
bild-Malerei angebracht erscheinen und gewiß
recht ersprießlich sein, wenn auch nur durch
einen einzigen Hinweis, darin der Alten Denkart
deutlich zu machen und gleichzeitig zu zeigen,
daß sich die Menschen — trotz zweier Jahr-
tausende — in ihrem innersten Empfinden und
Verlangen vollständig gleich geblieben sind.

Die zu besprechende Szene gehört dazu
dem noch stets gern bearbeiteten sogenannten
„Arme-Leut'-Motiv" an!

Theokrit führt uns in seiner 21. Idylle in
die Hütte zweier armen, vereinsamten Männer,
ihres Gewerbes Fischer. Der Gegenstand bietet
hiernach scheinbar nichts Verlockendes, auch
nicht einmal etwas Anziehendes scheint er an
sich zu haben; doch welche Fülle feinster
psychologischer Beobachtung, welche sinnige
einfache Schönheit zeigt sich in diesem, bis in
die kleinste Einzelheit vollendeten Bilde. —
Kummer und Sorgen weckten beide Männer
schon vor des Tages Anbruch. Zu früh noch,
schon an die Arbeit zu gehen, tauschen sie
vertraut ihre Gedanken: ihr Hoffen und ihr
Fürchten; — hatte doch gleiches Geschick sie
genähert, gleiche Not sie aufs innigste ver-
bunden. Und wie heute noch der im Wüsten-
sand sorgvoll Entschlummerte sich in beseli-
gendem Traume zum erfrischenden Quell in
schattiger Oase niederbeugt, so hatte auch dem
einen der Armen: vom Golde geträumt. Den
enttäuscht und in Sorgen Erwachten tröstet
dann mit trefflichen Worten der Genosse, ihn
mit gesundem Menschenverstände, nicht ohne
Anflug erheiternden Scherzes zum realen Leben
zurückführend. — Und wir, die wir's lesen,
fühlen uns nicht nur mit dem herben Geschick
dieser Männer versöhnt, sind vielmehr entzückt
von der geistvollen Behandlung des Stoffes und
der so tröstlichen Entwickelung und Lösung
der geschilderten Szene.

Dieses den Künstler doppelt beglückende
reiche Bild armen Lebens befriedigt nicht
nur durch seine vielen offenen und ver-
steckten Feinheiten wie durch seinen so poetisch
gehaltenen traumhaften Hintergrund, sondern
es erhält gerade für ihn durch den Umstand
besonderen Wert, daß es so lehrreich ist. Zeigt
es uns ja, wie solche Motive zu behandeln,
wie sie im einzelnen zu gestalten, zu beleben
und wie sie zu vergeistigen sind, damit auch
Geringeres zu Höherem erhoben werde. Muß
doch ein jeglich Buch oder Bild, soll's dauern,
soll's leben — sagt Lucian — Geist haben! —
Lehrreich nennen wir das Bild aber noch be-
sonders deshalb, weil es gerade für uns eine
so wichtige Mahnung in sich schließt, denn
da es unweigerlich zu vergleichen drängt,
nötigt es uns in freundlich zwingender Weise
zur Um- und Rückschau; zu dem also, was
stets geschehen ist und worauf auch wir an-
gewiesen bleiben werden! — Anders zwar
denken noch leider die „Modernen", die in
unglaublicher Verblendung, ohne alle Achtung,
sonder Ehrfurcht und Scheu allem Herge-
| brachten feind, nur in uneingeschränktester,
zügelloser Freiheit die Möglichkeit voller künst-
lerischer Entwickelung zu erblicken wähnen,
die, vermessen sich über jedes Gebot hinweg-
setzend, nur das Selbstbestimmte — das
ganz zufällig Entstandene — gelten lassen.
Daß aber die Erfahrungen dahingegangener
großer Perioden hervorragenden Kunstschaf-
fens und Wissens geschlossen gegen sie zeu-
gen, berührt sie nicht! Horaz löst dies Rätsel
in den Worten:

„Kühn genug alles zu wagen, eilt das Menschen-
geschlecht von Frevel zu Frevel."

Der verwegene Sohn des Japetus brachte
durch schädlichen Betrug den Völkern das
Feuer zu. Seitdem aber das Feuer den himm-
lischen Wohnungen entwendet wurde, lagerte
sich Auszehrung und ein unbekanntes Heer
von Seuchen auf die Erde."

(B. I, Od. III, V. 25 u. w.)

Die Vorteile eines solchen, als notwendig er-
kannten Rückblickes auch nur kurz anzudeu-
ten, ist hier unmöglich, weil eine noch so knapp
behandelte Darlegung sich zu einer reichen
kunstgeschichtlichen Abhandlung, die Lehrme-
thoden der alten Künstlerwerkstätte betreffend,
gestalten müßte. Es genügt aber auch die ein-
zige Bemerkung, solches Verlangen zu recht-
fertigen, daß nur auf diesem Wege die Entwicke-
 
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