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Zeitschrift für christliche Kunst — 18.1905

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Cremer, Franz Gerhard: Ein Rückblick auf die "moderne Kunst", [5]: in der internationalen Kunstausstellung zu Düsseldorf 1904
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https://doi.org/10.11588/diglit.4575#0124

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215

1905.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 7.

216

und sicherer Pinselführung,48a), um mit Goethe
(Bd. 39, S. 16, Ausgabe von 1832) zu sprechen,
daß diese „Gewebe" betitelte Abhandlung —
eben weil wir keine Technik mehr ha-
ben, noch das erforderliche Material
besitzen! — durchaus nicht übersehen blei-
ben darf.

„Weil du, auf ein schön Gemälde getroffen",
beginnt Philostratus, „noch ganz voll bist von
dem Webstuhle der Penelope, und er dir alles
dazu Gehörige zu haben scheint, einen gehörig
angespannten Aufzug und Blumen unter den
Fäden (wohl als Muster zur Nachahmung), und
weil beinahe die Weberlade gehört wird, und
Penelope unter Klagen und Tränen zerfließt,
wie Homer den Schnee zerfließen läßt (Odyss.
XIX, 204—209), und sie, was sie gewoben,
wieder auflöst, so betrachte auch die hier
nebenan webende Spinne, ob sie nicht sogar
im Weben der Penelope den Rang abläuft und
gar noch den Serern, deren Gewebe überfein

und kaum sichtbar sind.....Nun betracht'

einmal die Fäden: dies Gespinst ließen sie
(die Spinnen) aus dem Munde auf den Boden
nieder. Der Künstler zeigt auch, wie sie an

ihm niedersteigen und aufwärts klimmen.....

Auch Wohnungen weben sie an die Winkel an.
.... Aber er hat uns auch das dünne Ge-
webe vollkommen dargestellt. Sieh' einmal:
diese derbe Schnur ist an die Winkelseiten an-
gelegt, wie ein Tau am Mastbaume. An die
Schnur ist feines Gewebe angeknüpft mit vielen
Kreisen ringsum. Angespannte Schlingen gehen
vom größten Kreise bis zum kleinsten hin-
durch. .... An ihnen entlang schreiten die
Weberinnen, wann sie die etwa locker gewor-
denen Fäden anziehen.

Aber sie verlangen auch Lohn für das Weben
und verspeisen Fliegen, sobald sie eingesponnen

*8a) Auf die staunenswerte Pinselführung und das
eine solche ermöglichende Malmaterial machte ich
schon in meinen „Studien zur Geschichte der Ölfarben-
technik" (1895) aufmerksam, wo man das Erforder-
liche auf S. 213—216 finden wird. Weitere zahlreiche
Belegstellen bieten meine „Untersuchungen über den
Beginn der Ölmalerei" (1899), und „Zur Ölmaltechnik
der Alten" (1902). Zu den dort angeführten Stellen
sei hier noch eines Ausspruches des hl. Augustinus
gedacht, der im zehnten Buche seiner .Bekenntnisse'
von den verschiedenen Fähigkeiten der Seele spricht
und Kap. 12 vergleichweise sagt: „Ich habe Linien
von geschickten Arbeitern gezogen, und so fein ge-
sehen, daß sie Fäden eines Spinnengewebes glichen". —

sind: daher ihre Jagd der Künstler nicht ver-
gaß. Die nämlich wird am Fuße festgehalten,
die andere an der Flügelspitze; .... Sie
zappeln noch, zu entfliehen versuchend; jedoch
können sie das Gewebe weder in Unordnung
bringen, noch auflösen."

Daß diese begeisterte Schilderung über die
derzeitige hohe Vollendung der Malereien keine
einseitige ist oder gar in das Reich der Dich-
tung zu verweisen sei, wollen wir aus vielen
nur durch das weitere Urteil eines allgemein
bekannten Mannes, des Dionysios von Hali-
karnassos, bestätigen. Er spricht über die „Red-
nergewalt des Demosthenes vermittelst seiner
Schreibart", wo er p. 1114 zu dem für uns so
wichtigen Fragesatze kommt: „Wenn ja Bildner
und Maler, um an vergänglichen Stoffen die
Kunstfertigkeit ihrer Hände zu zeigen, der be-
deutenden Arbeit sich nicht entziehen wollten,
selbst das feine Geäder, die Flaum-
federn, die weiche Wolle an Früchten
und anderes Ähnliche mit der größten
Schärfe auszudrücken und hierauf ihre Kunst
mühevoll zu verwenden: sollte denn nicht der
Schöpfer einer politischen Rede, der durch
Talent und Fleiß allen Zeitgenossen weit vor-
stand, irgend etwa noch so geringfügiges —
wenn anders das, was zur Schönheit einer Rede
beiträgt, so genannt werden darf — außer acht
gelassen haben"?49)

Wird nun dies Spiegelbild des Alten
fürder das Ziel unseres Kunstbestrebens sein, dann
werden die uns Nachfolgenden einst den Kunst-
palast mit wesentlich anderen Gefühlen ver-
lassen, als wir ihn verließen. Es werden dann
dereinst die hier ausgestellten Werke einen
ähnlichen Berichterstatter finden wie die Galerie
auf dem Posilipo. — Wie immer auch die
nächste Umgebung sich gestalte, den Palastbau
selbst wird man dann einst um seines köst-
lichen Gehaltes willen auch vielleicht Pausi-
lypä50) (von naviiv Xvntj): „Kummerstillend"
zu nennen nicht anstehen.

Düsseldorf. Franz Gerh. Cremer,

Historienmaler.

t9) Übersetzt und erläutert von Dr. Albert Ger-
hard Becker. (Wolfenbüttel und Leipzig 1829.)
S. 134.

60) Reise in Deutschland, der Schweiz, Italien usw.
von Friedrich Leopold Graf zu Stolberg. (Mainz 1877.)
Bd. I, S. 477.
 
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