Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für christliche Kunst — 27.1914

DOI Artikel:
Witte, Fritz: Talmi gegen Gold: Über schlechte u. echte Metallkunst im Dienste der Kirche
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4362#0018

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. 1/2.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST.

7

Besonders glückliche Ten-
denzen zeigt auch eine statt-
liche Reihe kirchlicher Geräte
des ausgehenden XIII. und be-
ginnenden XIV. Jahrhunderts.
In ihnen ist vornehmlich die
Hammerkunst zu ihrem voll-
sten Rechte gekommen, indem
sie allein oft Grundform und
Schmuck hervorbrachte, letz-
terer ganz und gar aus dem
Kern herausgetrieben und dar-
um so innig, so natürlich und so
vollkommen mit ihm verwachsen
und eins, wie es der Prachtkelch
in Abb. 8 erweist.

Auch den kirchlichen Me-
tallgeräten der früheren Gotik
eignet der große Vorzug der
Brauchbarkeit und edler Form;
einige von ihnen könnte man füg-
lich sogar als die bestentwickel-
ten und zweckmäßigsten über-
haupt bezeichnen. Die Form-
pnnzipien der Gotik konnten
aber auf die Dauer kaum ohne
Einfluß auf die Metallkunst blei-
ben, und da kaum ohne un-
günstigen. Die Vorherrschaft
des konstruktiven Gedankens in
der Gotik wäre an sich auch für
die Gestaltung der Geräte nicht
gefährlich gewesen, hätte sie sich
nicht zu weit vorgedrängt und

Abb. 7.

Silbergetriebenes Reliquiar.

überall Aufgaben architektonischer Art gefunden. Unheimlich schnell griff diese
Tendenz um sich. So wie einmal die metallische Auffassung der früheren Epoche
durchbrochen ist, beherrschen Winkelmaß und Zirkel Kelch, Ziborium, Altar und
Leuchter. Mit der ungebundenen Freiheit ist es aus, kühle Konstruktion tritt an
die Stelle krauser Phantasie. So sehr beherrschte das architektonische Empfinden
die Formation auch der Metallobjekte, daß diese schließlich wie Ableger der Bau-
werke erscheinen. Miniaturausgaben von Domkirchen in Metall, ragende Türme,
Kelche, deren Schaft sich ausnimmt wie eine komplizierte Burganlage mit Türmen
und Zinnen, deren Nodus die leibhaftige Wiedergabe dreier Vogelnester mit Alten
und Jungen darstellt, stehen vor uns. Es ist hier und da, als ob die Metallkunst
einfachhin ihrer Aufgaben vergessen hätte, so wenig nimmt sie besonders bei kost-
bareren Geräten Rücksicht auf das, was notwendig und nützlich ist. Nirgends
tritt das Unglückliche dieses Tuns greifbarer als bei Prunkstücken, wie dem
vielgenannten — und merkwürdig genug — vielkopierten Soester Nesterkelch, zu-
 
Annotationen