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Zeitschrift für christliche Kunst — 27.1914

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Schneider, Franz: Dorfkirchen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4362#0169

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Nr. 8/9. ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST. 151

bau, aber dennoch haben wir uns mit einer Reihe neuer Momente, auch inbezug auf
die kirchliche Baukunst, abzufinden, welche aus technischen wie formalen Gründen
nicht nur den allgemeinen Wunsch rechtfertigen, sondern dazu drängen, eine un-
serer Zeit entsprechende Ausdrucksform — einen neuen Stil — zu erfinden.
Diese ebenso große als schwierige Aufgabe fällt in eine hastende schnellebige
Zeit, in das mit Recht sogenannte technische oder Maschinen-Zeitalter, in welchem
große technische Erfindungen schnell aufeinanderfolgen und das allgemeine Inter-
esse fast ganz für sich allein in Anspurch nehmen sowie dieses immer mehr auf den
Materialismus ablenken: Mit Hilfe der sinnreichen Maschinen werden fast alle
Gegenstände, die der Mensch im alltäglichen Leben gebraucht, als Massenartikel
hergestellt und hat sich heute fast des ganzen Feldes, welches früher ausschließlich
vom Kunsthandwerk beherrscht wurde, der Fabrikbetrieb und das Spekulantentum
(häufig unter Hinzuziehung minderwertiger Künstler) bemächtigt. Diese Kunst-
Industrie hat sogar schon auf rein künstlerische Gebiete sich ausgedehnt. Es sei
hier erinnert an die Erzeugnisse der Fabriken für Gips-, Terrakotta- und Bronze-
figuren, schlechte Öldruckbilder, minderwertige Webereien und Paramente, ge-
preßte Ornamente und dergl., deren Vertrieb erleichtert wird infolge der leider
weit verbreiteten Verirrungen des Geschmacks, der in den meisten Fällen die wahre
von der Scheinkunst nicht zu unterscheiden vermag. Alle diese Umstände wirken
sehr erschwerend auf die Bildung eines neuen Stiles — und daß em solcher nicht
ohne vorausgegangene gründliche Vertiefung und Festigung in geläuterten Kunst-
anschauungen und guten bewährten Kunsttechniken gebildet werden kann, sagt
uns nicht nur die Geschichte der vergangenen Kunstepochen, in denen jeweils der
neue Stil ganz organisch aus der enormen Fülle der Kunst der Vergangenheit ent-
stand, sondern auch der klägliche Zusammenbruch des innerhalb eines Jahrzehnts
entstandenen und wieder gänzlich verschwundenen Jugendstiles, für dessen Ent-
stehen alle hier geschilderten Vorbedingungen gefehlt haben. Wir müssen erst
noch länger in die Schule der großen Künstler der Vergangenheit gehen, ehe wir
die schwierige Aufgabe der Bildung eines neuen Stiles lösen können.

In jüngster Zeit hat die Neigung für die Formensprache des Barockstils und des
Klassizismus vorgeherrscht, wohl zum Teil deshalb, weil uns diese Stile zeitlich
am nächsten liegen und folglich für die meisten profanen Bauprogramme sich
besser eignen, als die Stile des Mittelalters und der Renaissance, deren Formen
seit Mitte des vorigen Jahrhunderts leider in den meisten Fällen mißverstanden
und geschmacklos wiedergegeben worden sind, wodurch eine gewisse Abnei-
gung gegen diese Stile entstanden ist. Wenn man aber dennoch neben den
späteren Stilen auch auf die mittelalterlichen immer wieder bei Neubauten zurück
greift, so geschieht dies zunächst aus Mangel an einem neuen Stil; freilich muß der
Architekt je nach Vermögen sich von bloßem Kopieren frei machen, vielmehr das
ihm gestellte Bauprogramm mit den modernen, praktischen Anforderungen und
eigenen gestaltenden Ideen im Sinne des betreffenden Stiles zu einer organischen
einheitlichen Verschmelzung bringen, dann wird das Resultat durchaus zeit-
gemäß und modern sein, obwohl ein historischer Stil der Formensprache
zugrunde gelegt wurde. Zudem hat diese Art des Sichanlehnens an historische Stile
den großen Vorteil, daß die Architekten dadurch wieder mehr vertraut werden mit
den unvergänglichen Werten der alten Baukunst, denn nur aus diesen heraus kann
der neue Baustil geboren werden. Diese Auffassung scheint übrigens in aller-
 
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