20
ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST. Nr. 2 3
XII. und XIII. Jahrh. ziemlich lückenlos zusammengestellt hat, bemerkt nur
bei dem Kreuze von Sarzano (1138), es sei mit Leinwand überzogen10, Vasari
schreibt die erste Anwendung dieser Technik bekanntlich dem Margaritone zu11.
Bei dem Kruzifixe von S. Damiano bildet das große Kreuz die Umrahmung
für die beiden schmalen Balken, an welchen Christus befestigt ist; deutlich ist
nur der Querbalken zu sehen, welcher von einer weißen Linie begrenzt wird,
Christus hängt nicht an dem Kreuze, sondern scheint auf den beiden Fußnägeln
zu stehen. Mit weit geöffneten Augen und erhobenem, ein wenig nach links ge-
neigtem Haupte schaut er vom Kreuze herab, nicht wie in ein Meer von Schmerz
versenkt, sondern wie von einer Lehrkanzel mit wenig geöffnetem Munde ernste
Lehren mit Ewigkeitsgehalt verkündend, die angenagelten Hände nicht mit der
Schwere des Körpers belastet, sondern die ganze Welt gewissermaßen in Liebe
umfangend, kurz, es ist nicht der sterbende oder schon gestorbene Christus,
sondern der lebende, wie ihn die abendländische Kunst fast allgemein bis ins
XIII. Jahrh. darzustellen pflegte.
Der Gesichtsausdruck des Heilandes ist ernst, streng und zugleich hoheits-
voll. Die großen Augen mit dem überquellenden Weiß schauen halb ekstatisch,
halb flehend etwas nach oben, als habe der große Dulder gerade das hochherzige
Wort gesprochen : „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun." Dieses
Gemisch von majestätischer Größe und demütiger Hingabe ist von dem Maler
offenbar gewollt, da auch die Personen unter dem Kreuze seine Fähigkeit be-
weisen, feinere psychologische Nuancen wiederzugeben. Lang wallt das Haar
auf die Schultern herab, wo es sich in drei Strähnen auflöst. Das Haupt ist nicht
durch die Dornenkrone entstellt, sondern nur von dem Kreuzesnimbus, dem
Zeichen der Gottheit, umgeben. Die Seitenwunde ist nur schwach angedeutet,
wie denn der Maler es ängstlich vermieden hat, den „Blutbräutigam" darzustellen.
über dem Ernst und der Würde des Gesichtsausdruckes vergißt man das
große anatomische Ungeschick des Malers. Die Beine gleichen bis zum Lenden-
tuche zwei geraden Stöcken, die parallel nebeneinander herlaufend sich in ihrer
Gleichmäßigkeit noch unter dem Lendentuche verfolgen lassen; die Knie sind
durch runde Scheibchen angedeutet, die viel zu hoch sitzen. Die dünnen,
schwachen Arme, welche am Schultergelenk nicht stärker sind als an der
Handwurzel, vermöchten den Körper kaum zu tragen. Die Nägel sind nicht
mitten in der Handfläche, sondern nahe an den ungewöhnlich langen Fingern
angebracht.
Rechts und links schweben unter dem Unterarme in gleicher Haltung und
mit gleicher Gewandung als Halbfiguren zwei Engel mit runden Gesichtern und
lebhaftem Blick; sie blicken einander klagend an, indem sie mit beiden Händen
auf den Gegenstand ihres Schmerzes hinweisen. Desgleichen steht auf jeder
Seite neben den Händen Christi, kaum noch sichtbar, ein Engel in voller Figur,
der mit ähnlicher Geste wie die Halbfiguren auf den Heiland zeigt.
Wie fast alle großen Kruzifixe jener Periode erweitert sich auch das St. Da-
mian-Kreuz an den beiden Seiten, neben den Hüften des Herrn, um Platz zu
10 Storia dell' arte italiana V, 2'-.
11 Vgl. Berger, E. Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Maltechnik, III", München
1912, 107.
ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST. Nr. 2 3
XII. und XIII. Jahrh. ziemlich lückenlos zusammengestellt hat, bemerkt nur
bei dem Kreuze von Sarzano (1138), es sei mit Leinwand überzogen10, Vasari
schreibt die erste Anwendung dieser Technik bekanntlich dem Margaritone zu11.
Bei dem Kruzifixe von S. Damiano bildet das große Kreuz die Umrahmung
für die beiden schmalen Balken, an welchen Christus befestigt ist; deutlich ist
nur der Querbalken zu sehen, welcher von einer weißen Linie begrenzt wird,
Christus hängt nicht an dem Kreuze, sondern scheint auf den beiden Fußnägeln
zu stehen. Mit weit geöffneten Augen und erhobenem, ein wenig nach links ge-
neigtem Haupte schaut er vom Kreuze herab, nicht wie in ein Meer von Schmerz
versenkt, sondern wie von einer Lehrkanzel mit wenig geöffnetem Munde ernste
Lehren mit Ewigkeitsgehalt verkündend, die angenagelten Hände nicht mit der
Schwere des Körpers belastet, sondern die ganze Welt gewissermaßen in Liebe
umfangend, kurz, es ist nicht der sterbende oder schon gestorbene Christus,
sondern der lebende, wie ihn die abendländische Kunst fast allgemein bis ins
XIII. Jahrh. darzustellen pflegte.
Der Gesichtsausdruck des Heilandes ist ernst, streng und zugleich hoheits-
voll. Die großen Augen mit dem überquellenden Weiß schauen halb ekstatisch,
halb flehend etwas nach oben, als habe der große Dulder gerade das hochherzige
Wort gesprochen : „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun." Dieses
Gemisch von majestätischer Größe und demütiger Hingabe ist von dem Maler
offenbar gewollt, da auch die Personen unter dem Kreuze seine Fähigkeit be-
weisen, feinere psychologische Nuancen wiederzugeben. Lang wallt das Haar
auf die Schultern herab, wo es sich in drei Strähnen auflöst. Das Haupt ist nicht
durch die Dornenkrone entstellt, sondern nur von dem Kreuzesnimbus, dem
Zeichen der Gottheit, umgeben. Die Seitenwunde ist nur schwach angedeutet,
wie denn der Maler es ängstlich vermieden hat, den „Blutbräutigam" darzustellen.
über dem Ernst und der Würde des Gesichtsausdruckes vergißt man das
große anatomische Ungeschick des Malers. Die Beine gleichen bis zum Lenden-
tuche zwei geraden Stöcken, die parallel nebeneinander herlaufend sich in ihrer
Gleichmäßigkeit noch unter dem Lendentuche verfolgen lassen; die Knie sind
durch runde Scheibchen angedeutet, die viel zu hoch sitzen. Die dünnen,
schwachen Arme, welche am Schultergelenk nicht stärker sind als an der
Handwurzel, vermöchten den Körper kaum zu tragen. Die Nägel sind nicht
mitten in der Handfläche, sondern nahe an den ungewöhnlich langen Fingern
angebracht.
Rechts und links schweben unter dem Unterarme in gleicher Haltung und
mit gleicher Gewandung als Halbfiguren zwei Engel mit runden Gesichtern und
lebhaftem Blick; sie blicken einander klagend an, indem sie mit beiden Händen
auf den Gegenstand ihres Schmerzes hinweisen. Desgleichen steht auf jeder
Seite neben den Händen Christi, kaum noch sichtbar, ein Engel in voller Figur,
der mit ähnlicher Geste wie die Halbfiguren auf den Heiland zeigt.
Wie fast alle großen Kruzifixe jener Periode erweitert sich auch das St. Da-
mian-Kreuz an den beiden Seiten, neben den Hüften des Herrn, um Platz zu
10 Storia dell' arte italiana V, 2'-.
11 Vgl. Berger, E. Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Maltechnik, III", München
1912, 107.