Nr. 9
ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST.
129
Josef knien in frommer Verzückung vor dem Kinde, das in einen Korb gebettet
liegt. In demselben Räume sind noch Ochs und Esel sichtbar, die bei Dürer nur
auf dem Weihnachtsbilde der kleinen Holzschnittpassion fehlen, weil dort der
Vorgang in ein oberes Stockwerk der Stallrume verlegt ist.
Auf der Zeichnung von 1514 ist der architektonische Teil, der die anbetenden
Eltern umgibt, im Gegensatz zu allen frühern Darstellungen von einer auffallenden
Einfachheit. Lag früher die Ruhe der Weihnachtsstunde nur in den Personen,
in dem Motiv an sich, so ist sie auch jetzt in die Umgebung, in die ganze Kom-
position eingekehrt. Es ist kein Zweifel, Dürers Ringen nach einem bestimmten
künstlerischen Ausdruck hatte 1514 eine beherrschende Höhe erreicht. Ruhe war
damit auch in sein Herz eingekehrt, und dies mußte auch in seinen Werken zum
Ausdruck kommen. Er war ja nicht einer von jenen glücklichen Meistern, denen es
vergönnt ist, einen Stilwillen zur Sonnenhöhe emporzuführen. Er stand auf
der Grenzscheide
einer verhängnisvol-
len Zeitenwende, die
sich mit den Worten :
Gotik oder Renais-
sance,deutscherNor-
den oder italienischer
Süden charakteri-
sieren läßt. Heute,
wo wir um eine Nais-
sance neuen künst-
lerischen Wollens
ringen,schrecken uns
die Spuren jener Re-
naissance, zu denen
das südliche Ver-
hängnis den großen
deutschen Meister
immer wieder hin-
zog. Dieser undeut-
schen Weihnacht der
Kunst imXVIJahrh.
können wir uns so
recht nicht freuen.
DieBilder der Ge-
burt Christi von 1504
zeigen,daß Dürer be-
reits etwas von einer
Wiedergeburt der
Antike bekannt war.
Doch war seine Vor-
stellung davon noch
völlig unklar. Die
Drapierung und das Abb. 3. Aibredu Dürer, Handzeidinung, 1514.
ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST.
129
Josef knien in frommer Verzückung vor dem Kinde, das in einen Korb gebettet
liegt. In demselben Räume sind noch Ochs und Esel sichtbar, die bei Dürer nur
auf dem Weihnachtsbilde der kleinen Holzschnittpassion fehlen, weil dort der
Vorgang in ein oberes Stockwerk der Stallrume verlegt ist.
Auf der Zeichnung von 1514 ist der architektonische Teil, der die anbetenden
Eltern umgibt, im Gegensatz zu allen frühern Darstellungen von einer auffallenden
Einfachheit. Lag früher die Ruhe der Weihnachtsstunde nur in den Personen,
in dem Motiv an sich, so ist sie auch jetzt in die Umgebung, in die ganze Kom-
position eingekehrt. Es ist kein Zweifel, Dürers Ringen nach einem bestimmten
künstlerischen Ausdruck hatte 1514 eine beherrschende Höhe erreicht. Ruhe war
damit auch in sein Herz eingekehrt, und dies mußte auch in seinen Werken zum
Ausdruck kommen. Er war ja nicht einer von jenen glücklichen Meistern, denen es
vergönnt ist, einen Stilwillen zur Sonnenhöhe emporzuführen. Er stand auf
der Grenzscheide
einer verhängnisvol-
len Zeitenwende, die
sich mit den Worten :
Gotik oder Renais-
sance,deutscherNor-
den oder italienischer
Süden charakteri-
sieren läßt. Heute,
wo wir um eine Nais-
sance neuen künst-
lerischen Wollens
ringen,schrecken uns
die Spuren jener Re-
naissance, zu denen
das südliche Ver-
hängnis den großen
deutschen Meister
immer wieder hin-
zog. Dieser undeut-
schen Weihnacht der
Kunst imXVIJahrh.
können wir uns so
recht nicht freuen.
DieBilder der Ge-
burt Christi von 1504
zeigen,daß Dürer be-
reits etwas von einer
Wiedergeburt der
Antike bekannt war.
Doch war seine Vor-
stellung davon noch
völlig unklar. Die
Drapierung und das Abb. 3. Aibredu Dürer, Handzeidinung, 1514.