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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 30.1912

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Amundsen, Gerhard: Alexander Sacharoff und sein Tanz
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https://doi.org/10.11588/diglit.7108#0219

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ALEXANDER SACHAROFF UND SEIN TANZ.

Sacharoffs Tanzkunst lägt sich mit der Tanzkunst
der Griechen vergleichen. Wie bei dem Tanze
der Priester und Jünglinge im achten Gesänge der
Odyssee Geistiges und Leibliches absolut untrenn-
bar ist, so faßt auch Sacharoff seine Kunst auf.
Die Griechen der klassischen Zeit besaßen wie
kein anderes Volk eine natürliche und vollkommene
Körper-Ausbildung. Von berühmten Tänzern wissen
wir, daß sie die schwierigsten geistigen Dinge durch
Mimik und Rhythmik darstellten. Sacharoff vermeidet
vor allem jede direkte sinnliche Wirkung; für ihn
kommt das Temperament nur soweit in Betracht, als
es verarbeitet und in Kunst umgewandelt wird. Daher
glaubt er, im reinen Tanz das Drehen und Wenden,
sowie jedes Berauschende meiden zu müssen oder
nur mit Vorsicht als ein Motiv unter vielen anzu-
wenden. - Von Haus aus war Sacharoff zum Maler
und Bildhauer bestimmt. Wie er als Maler durch
Farbwerte und Linien
oder als Bildhauer durch
die Form im Steine eine
Wirkung erzielte, so
wirkt er als Tänzer durch
seinen Körper und dessen
Bewegung. Früher war
die gesehene Natur das
Material des bildenden
Künstlers; jerjt kommt
für ihn der ganze unge-
heure Reichtum der na-
türlichen Bewegungen
des Menschen als leben-
diges Substrat seiner
Kunst in Betracht. Er
verbindet die Zweckbe-
wegungen, wie Laufen,
Fassen, Tragen usw. mit
den Ausdrucksbewegun-
gen, die ein Seelisches
durch die Gebärde un-
mittelbar versinnlichen.
Hierher rechnet er auch
die ruhigen Stellungen
des Körpers, die gleich-
sam eine erstarrte Be-
wegung bedeuten und
von ganz besonderem
Werte für seine Tänze
sind. Die Fülle dieses
Materials setjt Sacharoff
in eine darstellendeKunst
um, indem er eine ge-
schlossene Folge von Be- ALEXANDER SACHAROFF.

wegungen bildet und diese in einer fortlaufenden
Reihe für den Zuschauer sichtbar macht. Auf
solche Art und Weise entsteht sein mimischer
Tanz, dessen Einheit aus der inneren Einheit des
Themas gewonnen wird und mithin die Grundlage
jedes wahren Kunst-Tanzes bildet.

Mit der Musik, die den Tanz begleitet, ergibt
sich nun ein neues Moment. Die Konstruktion der
Tanzgebärden wird abstrakt, der Rhythmus wird ihr
Gesetj, die Gebärde wird dekorativ. Es gilt nun, den
natürlichen Inhalt des Tanzes mit seinem Bewegungs-
reichtum zurückzugewinnen und eine neue Kunsl-
form des Tanzes zu schaffen. Je vollkommener bei
Sacharoff die Beherrschung des Körpers mit der
Zeit geworden ist, desto bewundernswerter hat sich
seineTanzkunst entwickelt. — Bei seinem ersten öffent-
lichen Auftreten vor nunmehr zwei Jahren tanzte Sa-
charoff insbesondere griechische Tanzstudien. Jerjt
ist er ganz zu denMeistern
derFrührenaissance über-
gegangen. Palestrina,
Orlando di Lasso, Mon-
teverde, Pergolese ge-
staltet er mit innerstem
Erleben und Empfinden,
und er scheint für die
tiefreligiöse Kunst dieser
Meister geradezu präde-
stiniert zu sein. - Viel-
leicht wird er späterhin
in der heiteren Tonkunst
des Rokoko Mozarts,
Glucks oder Cimarosas
noch sein Bestes geben;
ist doch in dieser Musik
neben dem Erhabenen
jede Grazie der Tanz-
kunstvorhanden. — Man-
cher mag wohl Sacha-
roffs Kunst zuerst skep-
tisch gegenübergetreten
sein und seine künstle-
rischen Absichten nicht
ganz verstanden haben.
Die Achtung vor der star-
ken und unermüdlichen
Arbeitsleistung dieses
schaffenden Künstlers,
der uns noch Großes zu
geben vermag, wird ihm
sicherlich niemand ver-
sagen können. —

BACCHISCHE TANZSTUDIE. GERHARD AMUNDSEN.

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