PARISER KUNST-AUSSTELLUNGEN. Es
gibt wohl keine Stadt, deren Tageszeitungen
durchgehends eine ernst zu nehmende Kunst-
kritik besäßen. Das liegt im Wesen der Sache;
paradox ausgedrückt: zur Kunstkritik von Tag
zu Tag wird immer nur der Unberufene berufen
werden, vielleicht sogar berufen sein. In Paris
vollends ist die Kunstkritik eine recht ernstlose,
man möchte sagen: rein gesellschaftliche Sache.
So auch jetzt wieder: ebenso wie die ge-
schwätzige Reporterfeder alle bei großen Em-
pfängen Anwesenden aufzählt, nennt sie auch
die Namen der Aussteller bei der unabsehbaren
Kunst-Heerschau im Grand Salon. Er hat wirk-
lich seinen Namen von der einzigen für ihn
charakteristischen und lobenswerten Eigen-
schaft. Er ist groß. Und enthält, wenn man
den Zeitungen trauen will, eine außerordent-
lich große Anzahl von Meisterwerken. Der
arglos dahinwandelnde Beschauer nimmt nichts
davon wahr, und schon im dritten, vierten Saale
wünscht er sich ein Automobil, um all diese Nu-
ditäten und unglücklichen Affären der Weltge-
schichte in einem ihrer künstlerischen Qualität
entsprechenden Tempo passieren zu können.
Und, mit heimischen Greueln vergleichend, stellt
er fest, daß etwa zwanzig Prozent dieses Aus-
stellungsgutes keine deutsche Jury passiert
hätten. Warum lange dabei verweilen? Aber
noch einen letzten Ausruf des Entsetzens er-
preßt ihm der Blick in den riesigen Lichthof,
den eine wimmelnde gipserne Volksmenge bis
HERMANN
HALLER-
PARIS.
PLASTIK :
»SITZENDES
MÄDCHEN«
AUS DER 24. AUSSTELLUNG DER BERLINER SECESSION.
3°9
gibt wohl keine Stadt, deren Tageszeitungen
durchgehends eine ernst zu nehmende Kunst-
kritik besäßen. Das liegt im Wesen der Sache;
paradox ausgedrückt: zur Kunstkritik von Tag
zu Tag wird immer nur der Unberufene berufen
werden, vielleicht sogar berufen sein. In Paris
vollends ist die Kunstkritik eine recht ernstlose,
man möchte sagen: rein gesellschaftliche Sache.
So auch jetzt wieder: ebenso wie die ge-
schwätzige Reporterfeder alle bei großen Em-
pfängen Anwesenden aufzählt, nennt sie auch
die Namen der Aussteller bei der unabsehbaren
Kunst-Heerschau im Grand Salon. Er hat wirk-
lich seinen Namen von der einzigen für ihn
charakteristischen und lobenswerten Eigen-
schaft. Er ist groß. Und enthält, wenn man
den Zeitungen trauen will, eine außerordent-
lich große Anzahl von Meisterwerken. Der
arglos dahinwandelnde Beschauer nimmt nichts
davon wahr, und schon im dritten, vierten Saale
wünscht er sich ein Automobil, um all diese Nu-
ditäten und unglücklichen Affären der Weltge-
schichte in einem ihrer künstlerischen Qualität
entsprechenden Tempo passieren zu können.
Und, mit heimischen Greueln vergleichend, stellt
er fest, daß etwa zwanzig Prozent dieses Aus-
stellungsgutes keine deutsche Jury passiert
hätten. Warum lange dabei verweilen? Aber
noch einen letzten Ausruf des Entsetzens er-
preßt ihm der Blick in den riesigen Lichthof,
den eine wimmelnde gipserne Volksmenge bis
HERMANN
HALLER-
PARIS.
PLASTIK :
»SITZENDES
MÄDCHEN«
AUS DER 24. AUSSTELLUNG DER BERLINER SECESSION.
3°9