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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 30.1912

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Weiss, Konrad: Maria Caspar-Filser - München
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https://doi.org/10.11588/diglit.7108#0170

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MARIA CASPAR-FILSER-MÜNCHEN.

Der Künstler wächst aus der Heimat in die
Welt, aus der Natur in den seelischen Or-
ganismus der Form. Er hat die Aufgabe, sein
Naturgefühl in immer steigender Einheit mit
der Natur zu erleben und dieses Erlebnis in
den seelischen Ausdruck rhythmischer Formen
zu verwandeln.

Das deutsche Gemüt, diese seelische Eigen-
tümlichkeit unserer Rasse, mag eine restlose
Entmaterialisierung gleich den Impressionisten
verhindern, sie befähigt den deutschen Künst-
ler dafür um so mehr, das Naturgefühl stets
ebenso konkret als Natur, wie geistig als höhere
Formeinheit zu erleben. Dieses, die Stimmung
überwindende, tiefere organische Erlebnis ist das
stete Ziel der heutigen Landschaftskunst, es
macht denWert von Maria Caspar-Filsers Künst-
lerpersönlichkeit aus, da es in ihren Werken
in einer seltenen Tendenzlosigkeit und Ur-
sprünglichkeit vorhanden ist. —

Die schwäbischen Albtäler, tiefe Wannen,
aus deren waldigen Hängen immer wieder kahle
schimmernde Kalkfelsen urweltlich ergraut her-
ausragen, haben eine idyllische Größe und froh-
stille Romantik. Alle Hänge und Hügel schim-
mern im Frühling in einem feuchten, kühlen
Rot, das zwischen den Winterfarben heraus-
wächst und sie zitternd überhaucht. Man denkt
an den silbernen Schein in Corots Bildern;
aber die schwäbischen Farben sind bestimmter
satter, knospender, und dann dieses naturhafte,
verhaltene Rot, diese still rauschende Heiter-
keit, die durch das Jahr immer rauschender,
farbiger wird und doch ihre Stille nicht ver-
liert. In diesen Tälern voll sichtiger Luft, voll

herb-süßen Duftes ist eine große Zahl der Bil-
der und Studien von Frau Maria Caspar-Filser
entstanden, die ihr künstlerisches Fundament
ausmachen. Dort haben sich ihre Gemälde mit
dem erstaunlich starken Natur- und Heimatge-
fühl gesättigt, das sie als einzelne Pfadfinderin
in einer originalen Tiefe erfahren hat, während
Landschafterkolonien es in der Regel nur ver-
breitern, nicht vertiefen. Dies echte Gefühl liebt
immer zuerst die starken Werdezeiten und die
satten Tage, den gärenden Vorfrühling und
den in Säften schäumenden Frühling, den hei-
ßen Sommertag, die buschige Herbstfülle, keine
abstrakten, stimmungsvollen Sonnenauf- und
Untergänge, sondern die Natur des Bauern, die
wirkliche gewachsene Gegend, wie sie sich in
Sonne und Wetter geformt hat, samt den Men-
schen darin. Daher auch der instinktiv sichere
Blick der Künstlerin für die charaktervolle
Bauerngebärde. Daher in allem die freudige,
ab er stille Monumentalität der Schöpferin Natur.
Diese Art von Naturgefühl will durch die male-
rische Übersetzung so weit umwerten, daß der
stoffliche Urwuchs von sich selber geistiges
Zeugnis ablegt, daß die Schollenhaftigkeit
Fruchtbarkeit, die Herbstfülle Segen, die Na-
turdarstellung Schöpferfreude wird. Das schwä-
bische Mörickegefühl, die weite Heiterkeit in
engen Gefilden, wird hier weniger romantisch,
naturhafter, moderner, rhythmisch rauschender
und malerisch eindeutiger, bleibt aber doch ähn-
lich still und gediegen.

Ein wurzelechter Kunstcharakter schafft aber
keine sogenannte Heimatkunst; er läßt sich
nicht derart stofflich einschränken. Die Künst-

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