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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 30.1912

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Michel, Wilhelm: Die Krise im französischen Kunstgewerbe
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https://doi.org/10.11588/diglit.7108#0310

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DIE KRISE IM FRANZÖSISCHEN KUNSTGEWERBE.

Ein halb ausgesprochenes und bald ersticktes
Wort, ein mitten im Keimen zertretenes
Samenkorn — das ist das französische Kunst-
gewerbe unserer Tage. Ein peinlicher, ja ein
grausamer Anblick und vielleicht die stärkste
Anklage gegen den Genius der französischen
Rasse, die auf den Geschichtstafeln des 19. Jahr-
hunderts verzeichnet steht.

Um 1900 etwa setzte diese planmäßige Er-
stickung des jungen Lebens im Kunstgewerbe
ein. Und nichts läßt sich leichter begreifen als
die tiefe Erregung, die in den Kreisen der am
Gewerbe interessierten Künstler herrscht und
die sie zu den stärksten Worten greifen läßt,
sobald sie es unternehmen, ihre Mahnungen,
ihre Warnungen, ihre Nöte und Klagen vor das

Publikum zu bringen. Sähen sie aber vollkom-
men klar, hätten sie einen offenen Blick dafür,
wie verzweifelt in Wirklichkeit ihre Sache steht,
sie würden zu noch schärferen Waffen greifen
oder die Hände für alle Zeit ermattet sinken
lassen. — Es sind, objektiv gerechnet, etwa
fünfzehn Jahre der Entwicklung, um die das
deutsche Kunstgewerbe das französische über-
flügelt hat. Da aber Frankreich voraussichtlich
dieselbe Entwicklung in langsamerem Tempo
und mit vielen mäandrischen Winkelzügen zu-
rücklegen wird, beträgt der deutsche Vorsprung
in Wahrheit ein ganzes Menschenalter voll
Kampf, Arbeit und Erfolg.

Vor zwei Jahren sagte Paul Boncour in sei-
nem Rapport über das Budget der Künste:

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